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Politik

Regionale Netzwerke, dezentrale Ansätze

Dr. Michael Mörsch, Maike Visarius

Die Krankenhausplanung der Länder hat sich in der Corona-Pandemie bewährt

Die Krankenhausplanung der Länder hat ein schlechtes Image. Ihre Kritiker bezeichnen sie als passiv und träge. Statt die Krankenhauslandschaft aktiv weiterzuentwickeln, vollziehe sie in den Krankenhausplänen lediglich eingetretene Veränderungen der stationären Versorgungskapazitäten nach. Angeführt wird auch, dass die durch das Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie die Krankenhausplanung zu einem zahnlosen Tiger mache, wenn es darum geht, einzelne Krankenhäuser gezielt von der Versorgung auszuschließen. Insbesondere von Seiten der Krankenkassen finden sich daher immer wieder Stimmen, die mehr Einflussmöglichkeiten des Bundes in der Krankenhausplanung oder gar ein eigenes Mitspracherecht für Krankenkassen fordern.

Wasser auf die Mühlen der Befürworter von mehr Zentralismus in der Gesundheitspolitik lieferten auch die kontrovers geführten Verhandlungen der Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin in den zu Corona-Gipfeln umfunktionierten Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK). Das Ringen um Kompromisse, die, kaum errungen, in Frage gestellt und umgangen wurden, mehrte vielerorts Zweifel an der föderalen Verteilung der Kompetenzen im Bereich der Gesundheitspolitik und weckte zunehmend den Wunsch nach bundesweit einheitlichen Vorgaben.

Föderalismuskritik hält Praxischeck nicht stand

Einem tieferen Blick in die Praxis hält diese Fundamentalkritik jedoch nicht stand. Bei näherer Betrachtung zeigt sich vielmehr das Gegenteil: In der Corona-Pandemie hat sich die Verantwortung der Länder für die Krankenhausplanung und damit der föderale Aufbau unseres Gesundheitswesens mehr denn je bewährt. Diese Tatsache schließt Anpassungs- und Nachjustierungsbedarfe bei der Kompetenzverteilung nicht aus. Sie muss aber unbedingt in den nach der Bundestagswahl zu treffenden Weichenstellungen zur künftigen Ausgestaltung der medizinischen Versorgung berücksichtigt werden. Eine Umverteilung von Kompetenzen in der Krankenhausplanung auf die Bundesebene wäre der falsche Weg.

Krankenhausplanung in der Corona-Pandemie: geräuschlos und effizient

Die politische und öffentliche Diskussion über den „richtigen“ Umgang mit der Corona-Pandemie und über die zu treffenden Maßnahmen wurde von immer wieder wechselnden Themen dominiert. Ging es zu Beginn vor allem um die Probleme bei der Beschaffung von Schutzausrüstung und um die Ausgestaltung von Rettungsschirmen, prägten im weiteren Verlauf der Pandemie insbesondere die unterschiedlichen Auffassungen zur Erforderlichkeit von Kontaktbeschränkungen, die Probleme bei der Impfstoffbeschaffung sowie die Abstimmung der Impf-, Test- und Öffnungsstrategien die zumeist kontrovers geführte öffentliche Debatte.

Weitgehend unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung blieben unterdessen die Abstimmungen zu der keineswegs minder bedeutenden Frage, wie gewährleistet werden kann, dass sowohl die stationär behandlungsbedürftigen Covid-19-Patienten als auch alle anderen dringend stationär behandlungsbedürftigen Patienten zu jeder Zeit der Pandemie die Versorgung erhalten, die sie benötigen.

Ergänzend zu dem von der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) beschlossenen „Kleeblattkonzept für einen länderübergreifenden Patiententransport bei einem Worst-Case-Covid-19-Szenario“ entwickelten die für die Krankenhausplanung zuständigen Ministerien in kürzester Zeit und im engen Schulterschluss mit den Landeskrankenhausgesellschaften landesspezifische Konzepte zur Versorgung von Covid-Patienten. Um den regional unterschiedlichen Versorgungsgegebenheiten gerecht werden zu können, setzten dabei fast alle Länder auf die Bildung regionaler Versorgungsnetzwerke. Die entsprechende Aufteilung des Landes in Cluster-Regionen orientierte sich zumeist an den bereits vorhandenen Versorgungsregionen der Krankenhausplanung. Innerhalb dieser Regionen wurden regelmäßige Besprechungen der verschiedenen Beteiligten (wie beispielsweise Ministerien, Krankenhäuser, integrierte Leitstellen, Gesundheitsamt, Rettungsdienst und Wissenschaft) meist wöchentlich, teils sogar täglich abgehalten, um die Notwendigkeit von Änderungen zu prüfen, zu beraten und die Belegung zu koordinieren.

Die konkrete Steuerung der Covid-19- und Nicht-Covid-19-Patienten überließen fast alle Länder den vor Ort an der Versorgung Beteiligten. In der Regel betrauten die Länder dazu ergänzend ausgewählte Kliniken, meist Maximalversorger, mit der Koordinierungsfunktion innerhalb der Cluster-Regionen. In einigen Fällen erstellten Krankenhäuser eigene Organisationskonzepte, neue Funktionen wie Pandemiebeauftragte oder Koordinatoren wurden geschaffen und Schulungen durchgeführt.

In Abhängigkeit von Größe, Struktur, Bevölkerungsdichte, Infektionsgeschehen und Behandlungskapazitäten konnten die Versorgungskonzepte bei Bedarf flexibel an die spezifischen Versorgungsgegebenheiten vor Ort angepasst werden. Einige Bundesländer hielten sogar verschiedene Konzepte für verschiedene Pandemiephasen oder Regionen innerhalb des Bundeslandes bereit. Zumeist wurden die Covid-19-Patienten möglichst gleichmäßig auf alle infrage kommenden Kliniken verteilt, in einzelnen Regionen wurden die Patienten hingegen auf die Maximalversorger konzentriert. In anderen Fällen wurde situationsbedingt von einem Konzept zum anderen gewechselt – je nach Stand der Pandemie. Eine geringe Anzahl von Covid-Patienten konnte in sogenannten Covid-Häusern (Konzentration der Versorgung von Covid-19-Patienten in bestimmten Häusern) untergebracht werden, wurden die Kapazitäten knapp, wurden die Patienten im weiteren Verlauf möglichst gleichmäßig und je nach Verlaufsschwere untergebracht.

Auch von technischer Seite wurde schnell, flexibel und effizient aufgerüstet. Die Cluster-Regionen arbeiteten mit Tools zur Echtzeitübersicht der fach- und intensivmedizinischen Ressourcen, digitalen Kommunikations- und Informationssystemen mit gefahrrelevanten Fachdaten für die kooperierenden Stellen, Prognosetools und ausgebauter telemedizinischer Betreuung sowie Vernetzung von Intensivstationen.

Trotz dezentraler Steuerung des föderalistischen Systems sind somit weitreichende Gemeinsamkeiten in der Covid-19-Versorgung der verschiedenen Bundesländer erkennbar: Aus gutem Grund verzichteten die Beteiligten darauf, zentral und „von oben herab“ im Detail festzulegen, wo genau die Versorgung der Covid- und Nicht-Covid-Patienten während der Pandemie erfolgen soll. Stattdessen setzten die Länder in aller Regel auf dezentrale Ansätze und sich auf freiwilliger Basis herausbildende, regionale Versorgungsnetzwerke. Dieses Vorgehen ermöglichte es, zu jeder Zeit flexibel auf kritische Anstiege der Infektionszahlen und Auslastungsgrade der Krankenhauskapazitäten in den Regionen zu reagieren und für regionale Besonderheiten flexibel, schnell und unbürokratisch Lösungen zu finden.

In Einzelfällen kam es im Rahmen der trägerübergreifenden Kooperationen und Steuerung der Patientenströme zu erhöhtem Abstimmungsbedarf zwischen den beteiligten Kliniken, überwiegend wurde aber von intensiver vertrauensvoller Koordination der verschiedenen Ebenen und der Krankenhäuser untereinander, von unbürokratischer Hilfe und einem hohen Maß an Kollegialität berichtet. Neben einem konstruktiven Erfahrungsaustausch, großer Bereitschaft, von Erfahrungen anderer zu lernen bis hin zu materiellen und personellen Hilfen finden sich Beispiele, die – insbesondere in Anbetracht der vollkommen neuen Situation – praktische Belege für die Überlegenheit föderalistisch aufgebauter Systeme aufzeigen.

Insgesamt verliefen die komplexen Abstimmungsprozesse vor Ort und mit den für die Krankenhausplanung zuständigen Ministerien völlig geräusch- und reibungslos. Die bereits bestehenden regionalen Strukturen wurden als äußerst hilfreich und als solide und fruchtbare Basis für die neuen Konzepte beschrieben.

Dezentralität und Freiwilligkeit als wesentliche Erfolgsfaktoren

Der dezentrale Ansatz zur Koordination der Krankenhausversorgung und das Prinzip der freiwilligen Kooperation der Krankenhäuser haben sich auch rückblickend als die zentralen Faktoren für die erfolgreiche Steuerung der Patientenströme während der Pandemie erwiesen. Dieses Vorgehen ermöglichte es den Akteuren, pragmatisch, flexibel und schnell auf kurzfristig in den Regionen eintretende Kapazitätsengpässe zu reagieren. Dank fundierter Kenntnis der regionalen Versorgungsgegebenheiten konnten die Beteiligten zu jeder Zeit eine bestmögliche Versorgung der Patienten gewährleisten. In der öffentlichen Wahrnehmung fand diese enorme Leistung und der damit einhergehende große Erfolg der Krankenhausplanung jedoch kaum Beachtung. Hätte sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer Pandemie-Planung dafür entschieden, nach Maßgabe von Inzidenzen, Bevölkerungsdichten, Entfernungsparametern und dezidierten Strukturvorgaben bundesweit einheitliche Vorgaben zur Steuerung der Covid-Patienten festzulegen, hätte dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem erheblichen Versorgungschaos in den Regionen geführt. Getreu dem Motto „only bad news are good news“ hätte die Frage nach der bestmöglichen Verteilung der Covid-Patienten dann sicherlich auch mehr Beachtung in der öffentlichen Berichterstattung gefunden.

Aktive Krankenhausplanung braucht auskömmliche Investitionsfinanzierung

Doch auch in Zeiten ohne Pandemie ist die Krankenhausplanung der Länder weit besser als ihr Ruf. Dass die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft vereinzelt nicht so schnell vorankommt, wie man sich das wünschen würde, hat viele Gründe. Die Hauptursache dafür liegt jedoch nicht an fehlendem Gestaltungswillen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und ihre Mitgliedsverbände haben sich bereits im Frühjahr 2019 in einem gemeinsamen Appell an die Politik im Bund und in den Ländern ausdrücklich dazu bereit erklärt, sich auch an schwierigen Strukturdiskussionen bis hin zur Schließung einzelner Krankenhäuser aktiv zu beteiligen.

Haupthindernis für eine aktivere Krankenhausplanung sind vielmehr die nur in unzureichendem Umfang zur Verfügung stehenden Investitionsfördermittel. Denn vor allem in ländlich geprägten Regionen hängt die Durchführbarkeit von Maßnahmen zur Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung maßgeblich von deren Folgewirkungen auf die Versorgung vor Ort ab. Grundvoraussetzung für Veränderungen der Versorgungsstrukturen ist die verlässliche medizinische Grundversorgung der Bevölkerung, einschließlich einer 24/7-Notfallversorgung - und vielerorts auch der Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Neue Versorgungsstrukturen, etwa durch Zusammenlegung und Neuausrichtung von Krankenhausstandorten oder Bildung sektorenübergreifender Gesundheitszentren, erfordert in der Regel erhebliche Investitionen und können scheitern, wenn diese nicht in einem ausreichenden Umfang zur Verfügung gestellt werden können.

Angesichts eines jährlichen Investitionsbedarfs der Krankenhäuser von rund 7 Mrd. € und einer Investitionsförderung der Länder von rund 3 Mrd. € lässt sich die Investitionslücke auf aktuell rund 4 Mrd. € jährlich beziffern. Die Länder stellen derzeit bei Weitem nicht die Investitionsmittel zur Verfügung, die für eine aktivere Krankenhausplanung zwingend erforderlich wären. Dass die Krankenhauslandschaft und auch die gesamten medizinischen Versorgungsstrukturen vielerorts nicht in dem Tempo weiterentwickelt werden, wie es versorgungspolitisch wünschenswert wäre, kann vor diesem Hintergrund nicht überraschen.

Die Hauptursache für den nur langsam voranschreitenden Strukturwandel liegt nicht in der Verantwortung der Länder für die Krankenhausplanung oder in der fehlenden Bereitschaft der Krankenhausträger zum Strukturwandel, sondern in der unzureichenden Investitionsförderung. Ein klarer Beleg dafür ist die gute Inanspruchnahme der über den Krankenhausstrukturfonds bereit gestellten Mittel zum Abbau von Überkapazitäten, zur Konzentration von Krankenhausstandorten und zur Umwandlung von Krankenhäusern in andere Versorgungseinrichtungen. Gemäß dem Bericht des Bundesrechnungshofes vom September 2020 konnten bereits im Rahmen der 1. Förderperiode (2016 bis 2018) mit den aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellten 500 Mio. € insgesamt 65 Projekte gefördert werden, an denen sich die Länder mit 50 % der förderfähigen Kosten beteiligten. Gefördert wurden 45 Konzentrationen von Klinikstandorten sowie zehn Umwandlungen und zehn Schließungen von Krankenhäusern. Aufgrund des großen Erfolges wurde der Krankenhausstrukturfonds mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz um eine 2. Förderperiode (2019 bis 2022) mit einem jährlichen Umfang von 500 Mio. € erweitert.

Anstehende Reformen müssen Krankenhausplanung stärken

Die Corona-Pandemie hat einen klaren Praxisbeleg geschaffen: Die Krankenhausplanung der Länder ist schnell, sie ist flexibel und ließ das System zu keinem Zeitpunkt an seine Grenzen stoßen. Dennoch machen der medizinische Fortschritt, die Ambulantisierung der Medizin, der steigende Behandlungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung und der zunehmende Fachkräftemangel eine umfassende Weiterentwicklung der medizinischen Versorgungsstrukturen, einschließlich der ambulanten und stationären Krankenhausversorgung, dringend erforderlich. Auch die insgesamt erfolgreiche Bewältigung der Corona-Pandemie ändert an diesem Befund nichts.

Schon jetzt ist abzusehen, dass unmittelbar nach der Bundestagswahl im Herbst eine Debatte darüber entflammen wird, ob und inwieweit versorgungspolitische Entscheidungskompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern, insbesondere mit Blick auf die Krankenhausplanung, neu verteilt oder zumindest nachjustiert werden sollten. Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft und ihre Mitgliedsverbände steht außer Frage, dass die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Tendenz des Bundes, die Planungskompetenzen der Länder durch immer weitreichendere Entscheidungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses zu unterhöhlen (gestufte Notfallversorgung, Begrenzung der Ausnahmemöglichkeiten von Mindestmengenvorgaben, Definition von Zentren und Zuschlägen, Voraussetzungen für Sicherstellungszuschläge usw.) wieder umgekehrt werden muss. Eine am tatsächlichen Behandlungsbedarf der Patienten orientierte Versorgungsplanung muss die Gegebenheiten vor Ort kennen und sollte daher auch genau dort angesiedelt sein: in den Ländern und in den Regionen und eben nicht auf der Bundesebene bzw. im Gemeinsamen Bundesausschuss. Dies schließt allgemeine Rahmenvorgaben der Bundesebene nicht grundsätzlich aus, doch müssen diese als Orientierungsgrößen und nicht als verbindliche Vorgaben ausgestaltet sein.

Einmal mehr haben regionale Versorgungskonzepte in der Pandemie ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht sich dezidiert dafür aus, die Krankenhausplanung der Länder zu stärken und die vielerorts bereits bestehenden regionalen Versorgungsnetzwerke auf freiwilliger Basis krankenhauszentriert weiter auszubauen. Im Sinne einer sektorenübergreifenden Planung müssen ambulante und stationäre Versorgung zusammengedacht und den Ländern mehr aktive Mitwirkungsrechte in der vertragsärztlichen Versorgungssteuerung eingeräumt werden. Die Konkretisierung ihres Konzeptes zur Stärkung der föderalen Verantwortung, zur sektorenübergreifenden Ausgestaltung der Versorgungsplanung und zum Ausbau regionaler Versorgungsnetzwerke kann den Positionen der Deutschen Krankenhausgesellschaft für die nächste Legislaturperiode des Deutschen Bundestags sowie der begleitenden Berichterstattung beispielsweise in der Ausgabe 5/2021 von „das Krankenhaus“ entnommen werden.

Anschrift der Verfasser

Dr. Michael Mörsch, Leiter, Maike Visarius, Referentin, Bereich Politik, Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., Wegelystraße 3, 10623 Berlin