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Politik

„Den Geist der Kooperation bewahren“


Deutschland hat die Pandemie gut bewältigt und gilt weltweit als Vorbild im Umgang mit der Corona-Krise. DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sind sich einig: Dies ist nicht zuletzt der guten stationären Versorgung und vor allem dem außergewöhnlichen Einsatz aller Mitarbeiter in den Krankenhäusern zu verdanken. Einen weiteren ganz wesentlichen Grund dafür, dass die Pandemie in Deutschland bisher so glimpflich verlaufen ist, sehen beide aber auch in der außergewöhnlichen Bereitschaft der Handelnden im Gesundheitssystem, in der Krise Partikularinteressen und Wettbewerb zu Gunsten kooperativer Strukturen und gemeinsamer Versorgungsverantwortung zurückzustellen. „Wir sollten diesen gemeinsamen Geist über die Pandemie hinaus in den Alltag überführen und damit im positiven Sinne eine neue Normalität der Kooperation von Leistungserbringern auch über die Sektorengrenzen hinweg bewahren“, forderte der DKG-Präsident im Rahmen des Krankenhausgipfels, zu dem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat am 16. September 2020 eingeladen hatte.

„Fair diskutieren, fair entscheiden, fair handeln“ – war das Motto der Veranstaltung in Berlin, zu der neben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zahlreiche weitere Vertreter aus Gesundheitspolitik und Selbstverwaltung gekommen waren. Der Gipfel war zugleich Auftakt zu einer Reformkampagne der DKG (https://www.dkgev.de/dkg/fair/). Mit Fairness uns auf Augenhöhe wollen die Krankenhäuser mit allen Beteiligten die Zukunft der Gesundheitsversorgung diskutieren und gestalten.

„Nicht zuletzt wegen der Krankenhäuser und dem, was in den Kliniken geleistet wird, haben wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, ein robustes System, das auch in der Pandemie leistungsfähig ist und bleibt“, sagte Spahn und danke den Kliniken für den Einsatz in Corona-Zeiten. Die Krankenhäuser hätten sich als verlässliche Säule der Versorgung trotz großer Dynamik und Unsicherheit in der Pandemie nicht nur in den Städten, sondern auch ländlichen Räumen bewährt. Auch an die Akteure in den Bundesländern adressierte der Minister einen Dank: „Für die Zusammenarbeit im föderalen Miteinander, die ich im Zuge der Pandemie ganz neu schätzen gelernt habe“, so Spahn. Ausdrücklich lobte Spahn das DIVI IntensivRegister zur deutschlandweiten Abfrage freier Beatmungsplätze.

Der Gesundheitsminister sieht in der in der vernetzten Zusammenarbeit in der Pandemie über Sektorengrenzen hinweg gar eine „Blaupause“ für eine Strukturreform: „Diese Zusammenarbeit ist zukunftsweisend für die Versorgungsrealität vor Ort.“ 

Digitalisierung voranbringen, Investitionen schnell anstoßen!

Beide, der Gesundheitsminister und der DKG-Präsident, sehen dennoch erheblichen Handlungsbedarf. „Viele Probleme sind durch die Pandemie-Krise noch mal getriggert und wie durch ein Brennglas deutlich geworden“, so Spahn. Vor allem gelte es nun, die Digitalisierung und Vernetzung im Gesundheitssystem voranzubringen. Der Minister verwies auf das aktuelle Investitionsprogramm im Rahmen des KHZG, das für die Krankenhäuser 3 Mrd. € bereitstellt – ergänzt durch mindestens 30 % Kofinanzierung durch die Länder. Schon seit Kabinettsbeschluss Anfang September seien Anträge möglich. „Bitte schnell die Investitionen anstoßen und abrufen!“, so die Aufforderung Spahns an die Krankenhäuser. Investitionen müssten möglichst zeitnah erfolgen, damit die Digitalisierung als Gesamtkonzept zusammen mit der Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte funktionieren kann.

Finanzierungsreform aus einem Guss

Gaß forderte für die Zukunft „eine Finanzierungsreform aus einem Guss, die die Komplexität der Anreizwirkungen der Finanzierungsinstrumente insgesamt betrachtet“. Die letzten Monate hätten deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine leistungsfähige und flächendeckende Krankenhausstruktur sei. „Die ausschließlich leistungsbezogene Finanzierung dieser Daseinsvorsorge über die DRGs ist kein zukunftsfähiges Konzept“, so Gaß. Notwendig seien Finanzierungsmodelle, die den unterschiedlichen Aufgabenstellungen unserer Krankenhausstrukturen gerecht werden.

„Jetzt sei es an der Zeit, über die zukünftige Versorgung zu sprechen und zwar nicht über die Krankenhäuser, sondern mit ihnen“, sagte Gaß. Die Pandemie habe gezeigt, was tatsächlich systemrelevant ist.

Handlungsbedarf sieht DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß zudem in der Krankenhausplanung, bei der sektorenübergreifenden Versorgung, beim Thema Fachkräftesicherung, bei Qualitätsentwicklung und Digitalisierung. „Ohne eine gute Gesundheitsversorgung ist auch Deutschlands Volkswirtschaft massiv gefährdet. Nicht zuletzt die Krankenhauskapazitäten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland den Lockdown vergleichsweise milde und kurz halten konnte. Allein diese Faktoren machen deutlich, dass es unabdingbar ist, eine Politik für die Krankenhausversorgung in die Wege zu leiten, die nachhaltig die gesundheitliche Daseinsversorgung sichert“, erklärte Gaß.

Fachkräftemangel und Qualität

Auch Jens Spahn benannte den Fachkräftemangel als ein zentrales Problem der Kliniken. Er betonte jedoch, Geldmangel sei Dank Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz nicht mehr der Grund für weiter bestehende Besetzungsprobleme im Krankenhaus. Mit dem PpSG sei ein klares Signal der Politik für verlässliche Rahmenbedingungen gesetzt.

Dazu gehöre auch Pflegepersonalbemessung. „Wir werden Untergrenzen als wichtiges Instrument zur Sicherheit der Patienten weiterentwickeln“, so Spahn.

Als Gegenentwurf zu Pflegepersonaluntergrenzen hatte die DKG gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat und der Gewerkschaft ver.di ein Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument, PPR 2.0, Bewältigung der Personalkrise in der Krankenpflege vorgelegt. „Dieses Konzept einer bedarfsorientierten Pflegepersonalbemessung liegt auf dem Tisch und ist einsatzbereit. Der Ball liegt nun im Feld der Politik, den Ankündigungen aus der konzertierten Aktion Pflege auch Taten folgen zu lassen“, sagte Gaß.

Qualitätsdiskussion auf den Prüfstand

Die Krankenhäuser wollen das Personal in den Krankenhäusern wieder in den Mittelpunkt stellen. Die angespannte Personalsituation erfordere Konzepte, wie die Arbeit insbesondere in der Pflege attraktiver gestaltet werden kann. „Schon lange sehen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenhäuser mit überbordender Bürokratie und Überregulierung konfrontiert. Wir brauchen aber mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten“, so Gaß.

Die befristete Befreiung der Krankenhäuser von zahlreichen Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen während der Pandemie habe das Personal spürbar entlastet, ohne dass dies zu erkennbar negativen Folgen geführt hätte, so der DKG-Präsident. Dies gelte insbesondere für die kleinteiligen und stationsbezogenen Vorgaben der Pflegepersonaluntergrenzen und Mindestvorgaben im psychiatrischen Bereich.

Zum Stichwort „Qualität“ machte Spahn explizit deutlich, Mindestmengenregelungen im kommenden Jahr weiterzuentwickeln: „Hier gab es nur einen Aufschub durch Corona.“ In der Qualitätsdiskussion, die die Krankenhäuser auf den Prüfstand sehen wollen, bleibe er hartnäckig, stellte Spahn klar.

Keine „kalte“ Strukturbereinigung

Qualitäts- und Strukturvorgaben müssen den Patienten dienen und dürfen nicht zum Instrument „kalter Strukturbereinigung“ werden, mahnte dagegen Gaß. Die deutschen Krankenhäuser leisteten über alle Versorgungsstufen hervorragende Arbeit. Das stelle auch das zuständige Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) anhand mehrerer Millionen Behandlungsfälle jedes Jahr aufs Neue fest.

Ein echtes Anliegen sei ihm, so der Gesundheitsminister, eine Stärkung der Kooperation und Versorgungsabsprache in den Strukturen. Auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem vergangenen Jahr anspielend, die die Schließung eines Großteils der Kliniken in Deutschland empfiehlt, sagte Spahn: „Mit den ganzen Studien und den Diskussionen über die Notwendigkeit von Klinikschließungen kann ich nichts anfangen. Wir sollten endlich aufhören, ständig irgendeine Studie von irgendeiner Stiftung als Maßstab all unserer Debatten zu nehmen.“ Stattdessen müssten alle Beteiligten miteinander Lösungen finden und fokussieren, worum es gehe: Gute Versorgungsangebote. „Wir brauchen regional vernetzte und aufeinander abgestimmte Versorgungsstrukuren, mit guter Grund- und Schwerpunktversorgung. Dadurch werden wir auch einen Qualitätsgewinn erwirken.“

Die Kliniken der Grundversorgung sollten künftig auskömmlich finanziert werden, kündigte Spahn an. Hier will der Bundesgesundheitsminister sogar eine stärkere Selbstkostenrefinanzierung nicht aus der Diskussion ausklammern. Zu einer konkreteren Diskussion über die Krankenhausfinanzierung der Zukunft sei er nur unter der der Prämisse bedarfsgerechte Strukturen bereit: „Und davon sind wir weit entfernt“, so Spahn.

Die Brandenburgische Gesundheitsministerin Ursula Nonnenmacher will Klinik-Standorte erhalten. Sie hoffe, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorenübergreifende Versorgung“, sie sich 2018 auf Initiative des Bundesgesundheitsministeriums für mehr Zusammenarbeit und bessere Vernetzung im Gesundheitswesen konstituiert hatte, wieder Fahrt aufnimmt. „Kleine Grundversorger müssen per gesetz in die Lage versetzt werden, ambulante Leistungen auch adäquat abzurechnen“, sagte Nonnenmacher im Rahmen einer Podiumsdiskussion des Krankenhausgipfels.

Thomas Lemke, Vizepräsident der DKG und Vorstandsvorsitzender der Sana Kliniken AG, bremste die Euphorie Spahns angesichts seiner eigenen Krankenhauspolitik und verwies auf fast 1500 Seiten Gesetze und Verordnungen, die Spahn den Krankenhäusern während seiner Amtszeit bereits beschert habe. Auch sieht er nach der Kooperation in der Corona-Zeit die Player im Gesundheitswesen bereits wieder in die alten Rollen zurückfallen. Die Finanzierungsregelungen für die Länder sieht er kritisch: Die zentralistischen einheitlichen Bundesregelungen passen nicht mehr zu den Notwendigkeiten für 16 verschiedene Länder.“  

Bezug nehmend auf die tiefe Kluft in der Gesellschaft, die sich angesichts der Pandemie und der Maßnahmen seit März offenbart habe, aber auch auf die kontroversen Diskussionen zum „Rettungsschirm“ in der heißen Phase der Pandemie, sagte Spahn abschließend: „Es muss Einvernehmen bestehen, dass man es aushält, unterschiedlicher Meinung zu sein. So entsteht Zusammenhalt in einer Gesellschaft.“ Die Teilnehmenden des Krankenhausgipfels schienen optimistisch zu sein, dass dies zumindest im Gesundheitswesen gelingen kann.

Katrin Rüter