Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Politik

Weniger Kliniken, mehr Qualität?

Weniger Kliniken, mehr Qualität?

Umstrittene Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung    

Gibt es zu viele Krankenhäuser in Deutschland? Die Antwort der aktuellen Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“ 1) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ist eindeutig: Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1 400 auf deutlich unter 600 Häuser würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern, heißt es dort. Eine bessere Versorgung sei nur mit halb so vielen Kliniken möglich. Die Empörung in den Krankenhäusern ist groß, die Reaktionen auf die Veröffentlichung Mitte Juli 2019 entsprechend heftig.

„Wer vorschlägt, von ca. 1 600 Akutkrankenhäusern 1 000 plattzumachen und die verbleibenden 600 Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern. Das ist das exakte Gegenteil dessen, was die Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ für die ländlichen Räume gefordert hat“, erklärte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß.

Das zentrale Qualitätsmerkmal eines jeden Gesundheitswesens sei der flächendeckende Zugang zu medizinischer Versorgung, sagt DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß. „Wo Spezialisierungen sinnvoll sind, finden Entwicklungen dorthin längst statt.“ Doch sollten Initiativen der Krankenhäuser zur Bildung von Zentren nicht länger von den Krankenkassen blockiert werden.

Die Bundesregierung hatte per Kabinettbeschluss vom 18. Juli 2018 die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt, um Handlungsempfehlungen mit Blick auf unterschiedliche regionale Entwicklungen und den demografischen Wandel in Deutschland zu erarbeiten. Am 10. Juli 2019, kurz vor Veröffentlichung der Bertelsmann-Studie, stellte die Bundesregierung Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vor. Ziel ist eine wohnortnahe Versorgung, Arbeitsplätze und eine aktive Strukturpolitik mit dem Ziel, Vielfalt und eine dezentrale Struktur der Daseinsvorsorge zu erhalten und zu fördern.

Das zentrale Qualitätsmerkmal eines jeden Gesundheitswesens sei der flächendeckende Zugang zu medizinischer Versorgung, so Gaß weiter. Deutschland habe eines der besten Krankenhausversorgungssysteme der Welt. „Hinter der Zentralisierung, die die Bertelsmann-Stiftung vorschlägt, steht die Einschätzung, dass die medizinische Versorgungsqualität nur in Großkrankenhäusern gut bzw. besser werden könnte. Das ist eine absolut unbelegte Einschätzung. Wir messen seit Jahren anhand vieler Indikatoren die Qualität der medizinischen Versorgung. Zum Beispiel auf Inneren Abteilungen Lungenentzündungen, auf Gynäkologischen Abteilungen Geburten, Hüftoperationen usw. Mit wenigen Ausnahmen bestätigt der Gemeinsame Bundesausschuss Jahr für Jahr allen an dem Verfahren beteiligten Kliniken ein hohes Qualitätsniveau. Wo einzelne Kliniken Qualitätsdefizite haben, finden Interventionen statt“, sagte Gaß.

Viele Krankenhäuser in Deutschland seien zu klein und verfügten nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um etwa Herzinfarkte oder Schlaganfälle angemessen zu behandeln, heißt es dagegen in der aktuellen Studie. Eine starke Konzentration auf deutlich unter 600 Kliniken ginge mit einer bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bessere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte einher.

„Die Neuordnung der Krankenhauslandschaft ist eine Frage der Patientensicherheit und muss vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern“, so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung und Mitglied des Aufsichtsrates der privaten Rhön-Klinikum AG.

Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) hat im Auftrag der Stiftung untersucht, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien wie eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie technische Ausstattung orientiert. In einer Simulation entwarf das IGES erstmals ein Szenario, wie sich eine verpflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde. Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen. Fazit laut Bertelsmann AG: Statt der bisher 38 Krankenhäuser würden in der Modellregion Köln/Leverkusen 14 Kliniken ausreichen. „Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen. Nur diese Kliniken in der Region verfügen überhaupt über die technische Ausstattung, um Herzinfarktpatienten angemessen zu behandeln“, heißt es.

Die Studie belege, so die Bertelsmann-Stiftung in einer Pressemitteilung, dass es zur Konzentration im Kliniksektor keine Alternative gibt. Eine Qualitätssteigerung könne nur gelingen, wenn sowohl die Patienten als auch die medizinischen und pflegerischen Fachkräfte in größeren, spezialisierten Kliniken mit mehr Fällen zusammengeführt werden. Angesichts der Knappheit gut ausgebildeten Personals könnten Krankenhäuser nur durch Bündelung der Regelversorgung in allen zentralen Abteilungen jederzeit die entsprechende fachärztliche und pflegerische Kompetenz vorhalten.

Die Autoren der Studie schlagen eine zweistufige Krankenhausstruktur vor. Neben Krankenhäusern der Grundversorgung mit etwa 600 Betten soll es rund 50 Universitätskliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1 300 Betten geben.

„Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ohne Akutkrankenhäuser?

„Ein großer Teil des stationären medizinischen Versorgungsbedarfes braucht keine Spezialisierung“, sagt dagegen Gerald Gaß. Geburten, viele auch altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin, viele neurologische Krankheitsbilder, geriatrischer Versorgungsbedarf in einer alternden Gesellschaft: Behandlungen der medizinischen Grundversorgung müssten auch in Zukunft möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren Krankenhäusern erbracht werden. „Wo Spezialisierungen sinnvoll sind, finden Entwicklungen dorthin längst statt. Es wäre zudem gut, wenn die vielen Initiativen der Krankenhäuser zur Bildung von Zentren nicht länger von den Krankenkassen blockiert würden“, so der DKG-Präsident.

Als eine Voraussetzung ihres Konzepts fordern die Autoren, deutlich mehr bislang stationär erbrachte Leistungen in ambulante Leistungen zu überführen. Hier sieht auch die DKG Möglichkeiten. Dies könne aber nur gelingen, wenn die Krankenhäuser mit ihren medizinischen Kompetenzen und ihrer Infrastruktur für die Erbringung ambulanter Leistungen vom Gesetzgeber zugelassen werden. Die niedergelassenen Praxen können diese Leistungen nicht auffangen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die Versorgungsengpässe im ambulanten Bereich seit Jahren nicht lösen können. Hier gelte es jetzt, neue Wege zu gehen.

Eine monokausale Erklärung „weniger Krankenhäuser – bessere Qualität“ greife viel zu kurz. Andere Länder haben nicht nur ihre Krankenhausstruktur verändert, wie es die Studie als einzige Lösung vorschlägt. Vielmehr haben sie die Strukturreformen mit wirkungsvollen Präventionsprogrammen, grundlegendem Ausbau der ambulanten Versorgung insbesondere auch durch die Kliniken und der Infrastruktur flankiert. Zudem verfügen sie über gänzlich andere Krankenversicherungs- bzw. Finanzierungssysteme. All das wird komplett verschwiegen und macht die Auswertung damit nicht brauchbar.

Aktive Krankenhausplanung, die regionale Besonderheiten ins Auge fasst“

„Was wir benötigen, ist eine aktive Krankenhausplanung, die regionale Besonderheiten ins Auge fasst, Parallelstrukturen abbaut, aber gleichzeitig auch gegen Unterversorgung vorgeht. Was wir benötigen, ist ein vernünftiger Mix aus wohnortnaher Grundversorgung, bei der sich die Patienten auch im Notfall auf zeitnahe Behandlung verlassen können, und hochspezialisierten Leistungen, die in Zentren erfolgen sollen. Die Studie selbst verweist auf die Möglichkeiten, die die Telemedizin bietet, um Grundversorgungsstandorte mit den Kompetenzen der Zentren auszustatten. Dieser Debatte stellen sich die Krankenhäuser gerne, und sie sind auch jederzeit bereit, sich in eine sektorenübergreifende Versorgungsstruktur einzubringen. Wichtigste Zielsetzung von Planungen und Veränderungsprozessen muss aber der Nutzen für den Patienten sein“, machte der DKG-Präsident deutlich. „Nicht zuletzt bedeutet aber jede Form von Standortentwicklung gewaltige Investitionsanstrengungen, die weit über die bisherigen Fördermittel der Länder und des Bundes hinausgehen. Auch dazu schweigt sich die Studie aus“, so Gaß weiter.

Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), kritisierte die am Beispiel Köln entwickelte Szenario einer optimal strukturierten stationären Krankenhausversorgung: Einige zentrale Aspekte, die die Umsetzung schwierig bis nahezu unmöglich machten, seien außer Acht gelassen worden. „Für die im Gutachten vorgeschlagene Reduzierung der Anzahl der Krankenhäuser in der Region von 45 auf 12 oder 14 Standorte sind erhebliche Investitionen notwendig, die an keiner Stelle erwähnt oder beziffert werden. Allein für diese grundlegende Umstrukturierung wären nach unseren überschlägigen Berechnungen Mittel in Höhe von bis zu 3,3 Mrd. € erforderlich“, kritisiert Brink. Das Geld für diese Strukturveränderung müsste vom Land kommen, aber bereits jetzt fehle den 344 Krankenhäusern in NRW jährlich rund 1 Mrd. € an Fördermitteln von der Landesregierung. Dies allein zeige den fehlenden Realitätsbezug des Simulationsgutachtens.

Geradezu grotesk werde es hinsichtlich des vorgeschlagenen Kapazitätsabbaus für die Region aufgrund kartellrechtlicher Gründe, die Krankenhauszusammenschlüssen und -kooperationen entgegenstünden, so Brink. Er nannte Köln als Beispiel. Hier habe vor Kurzem das Bundeskartellamt im Hauptprüfverfahren eine Trägerfusion im Krankenhausbereich in Köln aufgrund von vermuteten Marktbeherrschungen untersagt.

„Auch ist bei einer Zentralisierung und Kapazitätsaufteilung die Verbundbildung von Krankenhäusern eine entscheidende Voraussetzung. Eine Verbundbildung setzt aber zwangsläufig auch einen Konsens unterschiedlicher Träger voraus und kann nicht einfach verordnet werden, was sonst einer Enteignung gleichkommt. Auch dies bleibt in der Analyse unberücksichtigt“, hob Brink hervor. Zudem fänden in den Modellrechnungen und Analysen die stadtplanerischen Hemmnisse gerade in Ballungsräumen wie Köln keine Berücksichtigung. Schon jetzt fehlen für dringend benötigte Wohnungen die erforderlichen Baugrundstücke. Wo sollen die benötigten Flächen für die im Gutachten beschriebenen Erweiterungen von bestehenden Kliniken von bis zu 2 000 Betten herkommen“, merkte Brink an.

„Ein weiterer Aspekt ist die Forderung der Autoren als eine Voraussetzung ihres Konzepts, deutlich mehr bislang stationär erbrachte Leistungen in ambulante Leistungen zu überführen. Hier sehen auch wir durchaus Möglichkeiten. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Krankenhäuser mit ihren medizinischen Kompetenzen und mit ihrer Infrastruktur für die Erbringung ambulanter Leistungen vom Gesetzgeber zugelassen werden und an der Versorgung weiter teilnehmen können“, unterstrich der KGNW-Präsident. „Die niedergelassenen Praxen können diese Leistungen nicht auffangen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben die Versorgungsengpässe im ambulanten Bereich seit Jahren nicht lösen können. Hier gilt es jetzt, neue Wege zu gehen“, so Brink.

1) Dr. Stefan Loos/Dr. Martin Albrecht/Karsten Zich: Zukunftsfähige Krankenhausversorgung Simulation und Analyse einer Neustrukturierung der Krankenhausversorgung am Beispiel einer Versorgungsregion in Nordrhein-Westfalen