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Politik

Überreguliert und stranguliert

Überreguliert und stranguliert

Nach kurzer Unterbrechung zur Vereidigung der neuen Verteidigungsministerin geht in Berlin die Sommerpause weiter. Keine sommerliche Auszeit dagegen hat die Selbstverwaltung.

Bis spätestens 30. August müssen DKG und PKV/GKV-Spitzenverband vereinbaren, wie es mit den Pflegeuntergrenzen im nächsten Jahr weitergeht. Kommt diese nicht zustande, wäre wie im Vorjahr Minister Spahn mit einer Rechtsverordnung ersatzweise dran.

Noch liegen die Positionen zwischen DKG und Kassen weit auseinander. Die Zahlen, die der GKV-Spitzenverband dieser Tage zur Inanspruchnahme des Pflegestellenförderprogramms in den Jahren 2016 bis 2018 veröffentlicht hat, zeigen deutlich: Der Arbeitsmarkt für Pflegefachkräfte ist leergefegt. Trotz zugesicherter Vollfinanzierung jeder zusätzlich geschaffenen Stelle konnten die Kliniken über das Programm im Jahr 2018 offensichtlich keine 100 Stellen zusätzlich besetzen. Das sind zwar noch vorläufige Zahlen. Aber selbst wenn es 200 wären, wird deutlich, dass keine Klinik in Deutschland freiwillig und mutwillig zu wenig Pflegefachkräfte hat. Damit bestehen objektive Unmöglichkeiten zur Sicherstellung einer Pflegefachkräfteausstattung, die selbst im Untergrenzen-Format nicht immer und überall und zu jeder Zeit realisierbar ist.

Die Analyse des ersten Quartals der Anwendung der Pflegeuntergrenzen hat zudem gezeigt, dass die extreme Fokussierung auf Pflegefachkräfte zum Abbau von medizinischer Versorgung zwingt. Das schlägt völlig unvermittelt und überall zu – auch dort, wo schon heute medizinische Versorgungsprobleme bestehen. Deshalb pocht die DKG darauf, dass bei der Weiterentwicklung der Pflegeuntergrenzen für das Jahr 2020 die Ausnahmen erweitert werden. Wer Patienten aus dem Rettungswagen aufnimmt, darf für die Hilfe nicht auch noch bestraft werden. Es muss möglich sein, die Fachkräftequote in größerem Umfang mit Pflegehilfskräften aufzustocken. Die Besetzungsquoten in der Intensivmedizin müssen an die unterschiedlichen Betreuungsbedarfe angepasst werden. Die von Minister Spahn für 2020 vorgegebene Ausweitung auf die gesamte Neurologie und Herzchirurgie droht die Problematik zu verschärfen. Müssten Schlaganfallpatienten abgewiesen werden, weil die Personalbesetzungsvorgabe zu eng ist oder auch nur vorübergehend nicht realisiert werden kann, ist das nicht zu verantworten.

Die Krankenhäuser brauchen Zeit für Anpassungen. Das erste Jahr muss immer Erprobungsjahr und sanktionsfrei sein. Das Problem kann nur der Gesetzgeber lösen. Der GKV-Spitzenverband ist zu Zugeständnissen bei den Ausnahmen und bei den Quoten nicht bereit. Die Aussichten für eine gemeinsame Vereinbarung bis zum 30. August 2019 für die Weiterentwicklung der Pflegeuntergrenzen sind nicht sehr gut. Ohne Erprobungsphasen ist die Erstreckung auf noch mehr Leistungsbereiche, etwa auf die gesamte Innere Medizin, überhaupt nicht vorstellbar.

Ohnehin baut sich ein kaum noch überschaubares Regelungsdickicht von diversen Pflegeuntergrenzen auf. Noch im Juli mussten die Sanktionsregelungen für die Untergrenzensteuerung auf der Grundlage des vom InEK jedem Haus vorzugebenden Pflegepersonalquotienten vereinbart werden. Mit dem Pflegepersonalquotienten soll – abgeleitet aus den in den DRGs enthaltenen Erlösanteilen für die Pflege – eine Soll-Pflegepersonalausstattung für jedes Krankenhaus einschließlich Untergrenze ab 2020 vorgegeben werden. Wird diese Ganzhausuntergrenze unterschritten, müssen auch hier wieder Strafzahlungen geleistet oder Fallzahlreduzierungen vereinbart werden. Ehe dieses Instrument mit ministeriell vorgegebenen Untergrenzen per Rechtsverordnung in Kraft gesetzt wird, ist dringend anzuraten, den Gesamtansatz noch einmal in Frage zu stellen. Quotientenuntergrenze plus Bereichsuntergrenzen verursachen enorme Bürokratie und drohen, die Personalsteuerung gänzlich zu strangulieren.

DKG, Deutscher Pflegerat und ver.di arbeiten mit Hochdruck an Pflegepersonalanhaltszahlen als alternativem Gesamtkonzept. Bis zu dessen Anwendung in der Praxis sollte es reichen, die Untergrenzen für die sechs pflegeintensiven Bereiche als Erprobungsregelungen zu führen.

DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum