Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziel, während andere uns helfen diese Website und ihre Erfahrung zu verbessern.

Politik

Realitätsnähe zulassen

Realitätsnähe zulassen

Sichtlich erschöpft verließen am 20. September die G-BA Mannschaften den Plenarsaal. Mit insgesamt zehn Stunden Beratung wurde eine historische Höchstmarke erreicht – am gleichen Tag allerdings getoppt vom Start des 18 Stunden Beratungsmarathons der Koalition zur Rettung des Klimas durch gezielte Maßnahmen zur Minderung des 2-%igen CO2-Emissionsweltanteils des Landes. Die Gemeinsamkeiten bestehen in der politisch hochfokussierten Bedeutung und  deren Relativierung bei übergeordneter Sicht.

Zum Marathon wurde diese G-BA Sitzung durch die Beratungen über die Richtlinie zur Personalausstattung in der Psychiatrie und Psychosomatik. Angesichts der Bedeutung personeller Mindestausstattungen für die psychiatrische und psychosomatische stationäre Versorgung mit 90 000 Vollkräften, einer Million Patienten und einem Kostenvolumen von ca. 8 Mrd. € hätte eine ausführliche fachliche Beratung durchaus angemessen sein können. Schließlich ist die qualitätsgesicherte und leitliniengerechte Mindest-Personalausstattung für  diesen hoch komplexen Bereich der Medizin eine große Herausforderung.

Allerdings hat der G-BA kein grundsätzlich neues Qualitätssicherungskonzept erarbeitet. Hilfsweise wurde die Personalnormierung aus der Psych-PV übernommen, an einigen Stellen Minutenwerte weiterentwickelt und das Gesamtprojekt zur Mindestvorgabe umetikettiert. Für die Sanktionierung der Mindestbesetzungsvorgaben sind quartalsbezogene Ganzhauswerte vereinbart worden. Soweit als Kompromiss auch noch akzeptabel.

Nicht akzeptabel in dieser Richtlinie ist, dass die Krankenhäuser gezwungen werden, alle therapeutischen Berufsgruppen und das gesamte Pflegepersonal stationsbezogen zu dokumentieren und den Krankenkassen darüber monatlich Rechenschaft abzulegen. Die Fokussierung und Dokumentierung auf Stationsbasis ist Ressourcenverschwendung und ein Rückfall in längst überholte innerbetriebliche Versorgungsstrukturen.

Es gibt keinen Grund, die psychiatrischen Krankenhäuser in Deutschland in ein so engmaschiges Überwachungs- und Kontrollregime zu nehmen. Qualität und Patientensicherheit waren auch ohne diese neue Richtlinie handlungsleitende Maxime der Verantwortlichen in den Krankenhäusern. Die PsychPV war immer auch ein Instrument der Qualität mittels  Personalvorhaltung. Es wäre gut, wenn die Kassen mit gleichem Engagement, mit dem sie bessere Personalvorhaltungen und höhere Personaleinsatzzeiten bei den Therapien fordern, bereit wären, diese dann auch bei den Budgetvereinbarungen zu bezahlen. Ein Bekenntnis dazu war vom GKV-Spitzenverband bislang nicht zu hören.

Dass Bundesgesundheitsminister Spahn just an diesem Tag seinen Plan, sich mehr  fachaufsichtsrechtliche Kompetenzen im Verhältnis zu G-BA Beschlüssen zu verschaffen, aufgeben musste, ist bedauerlich. Es ist zu befürchten, dass die Möglichkeiten der Rechtsaufsicht zu schwach sein werden, um das Inkrafttreten dieser Richtlinie zum Beginn des neuen Jahres zu verhindern. Dann bleibt nur zu hoffen, dass sich bei der Umsetzung doch noch gemeinsame Erkenntnisse für Korrekturen aufbauen. Dass so etwas möglich ist, hat der G-BA an diesem Tag gezeigt.

Die 2015 beschlossene Richtlinie mit Vorgaben für die Pflegepersonalbesetzung in der neonatologischen Intensivversorgung wurde geändert. Die Scharfstellung der 1:1 Besetzung ab 2020 wurde um zwei Jahre verschoben. Auch mit dieser Richtlinie wurden seinerzeit Normen gesetzt, die in der Versorgungsrealität und unter den Bedingungen des realen Pflegenotstandes nicht zu realisieren sind und die Versorgung gefährden würden.

Sie wurden seinerzeit von den Kassen mit dem Ziel in die Richtlinien gedrückt, dass möglichst viele Krankenhäuser ihre neonatologischen Abteilungen schließen. Dass der G-BA an diesem Tag einstimmig die Übergangs- und Anpassungszeiträume verlängerte und den Kreis der anrechenbaren Pflegekräfte erweiterte, war dann doch eine versöhnlich und hoffnungsvoll stimmende Botschaft. Gemeinsame Selbstverwaltung funktioniert eben doch. Manchmal braucht das Reifen gemeinsamer Erkenntnisse und die Zulassung von Realitätsnähe eben etwas mehr Zeit. Das ist im Gesundheitswesen ähnlich wie in der Klimapolitik.

DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum