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Politik

Mindestmengen G-BA: Der Sündenfall TAVI

Mindestmengen(MmR) sind ein wichtiges Instrument zur Qualitätsverbesserung. Voraussetzung ist, dass eine Evidenz aus Studien oder Registern besteht, die deutliche Hinweise auf einen positiven Zusammenhang zwischen Anzahl der durchgeführten Leistungen und Qualität des Ergebnisses belegt (1). Dies ist für die kathetergestützte Aortenklappenintervention TAVI in der Literatur beschrieben (2). Die deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und die deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) haben in einem Konsensuspapier vor kurzem die aktuelle Studienlage zur Durchführung überarbeitet und gemeinsame Empfehlungen zum Vorgehen veröffentlicht. Sie beschreiben die interventionelle Erfahrung des tätigen Arztes als einen entscheidenden Faktor der Ergebnisqualität, ohne dabei konkret eine Mindestmenge zu benennen (3), vielleicht auch, weil verlässliche Daten zu einer konkreten Mindestzahl für Deutschland bislang nicht vorliegen?

Formfehler des G-BA?

Strittig ist also nicht, ob Mindestmengen auch jenseits der Verhinderung von Gelegenheitseingriffen einen Sinn machen, sondern der formale Umgang mit ihrem Einsatz, ihrer Evidenz beziehungsweise der daraus abgeleiteten Höhe.
Der G-BA will nun Beratungen für eine TAVI-Mindestmenge aufnehmen (4). Das ist an sich keine besonders aufregende Nachricht, denn dies gehört schließlich zu seinen Aufgaben. Bemerkenswert aber ist das formale Vorgehen. Nicht die Vorsitzende des entsprechenden Unterausschusses hat die Beratungen initiiert, sondern der Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken.

Schon vor den Beratungen im Unterausschuss hat er dabei präjudizierend eine sehr hohe Mindestmenge von 150 TAVI Prozeduren je Standort sowie 65 je qualifiziertem Operateur vorgegeben (4). Er nennt diese Zahlen zwar eine Arbeitshypothese, aber das Vorgehen legt den Schluss nahe, dass er damit das Ziel verfolgt, hierfür eine besonders hohe Mindestmenge zu erreichen. Geht es bei dem Verfahren wirklich noch um die Qualität der Leistungserbringung oder soll unter dem Deckmantel der Mindestmengen die Krankenhauslandschaft umstrukturiert werden? Welcher Sinn wird die Beratung im Unterausschuss und welche Bedeutung wird dem Bericht des IQWIG noch beigemessen werden können, wenn das Ergebnis schon vorweggenommen wurde? Problematisch ist, dass im zu erwartenden Dissens zwischen Kassen und DKG die Stimme des G-

BA-Vorsitzenden den Ausschlag bei der Abstimmung geben wird. Durch das gewählte Vorgehen gerät er allerdings in Verdacht, dass er bei dieser Entscheidung nicht mehr unparteiisch ist.

Verdreifachung der Mindestmenge auf einen Schlag

Die aktuell geltenden Empfehlungen der wissenschaftlichen Gesellschaften sowohl in Deutschland aus dem Jahre 2015, die 2020 nicht geändert worden ist (3), als auch in den USA von 2018 (5) schlagen eine Mindestmenge von 50 TAVI pro Jahr und Institution vor. Der jetzt vorliegende Vorschlag des G-BA-Vorsitzenden würde diese bisher unverbindliche Mindestmenge auf einen Schlag verdreifachen und juristisch fixieren. Dabei wäre der Sachverhalt erst einmal differenziert zu betrachten und auch kritische Argumente zu prüfen: So scheint beispielsweise die Untersucher-Lernkurve (die es auch an großen Zentren gibt) möglicherweise bedeutsamer als die Zahlen zur Erhaltung der Kompetenz (5). Des Weiteren ist die TAVI-Prozedur einer ständigen planerischen, technischen und prozeduralen Verbesserung unterworfen, so dass die Registerdaten dem tatsächlichen Stand hinterherhinken. Möglicherweise könnte wie auch ein von anderen Verfahren bekannter Effekt eintreten, dass die notwendige Mindestzahl zum Erreichen guter Ergebnisse mit zunehmender Perfektionierung der Methode abnimmt. Es darf vom G-BA erwartet werden, dass dies vorab sorgfältig geprüft und abgewogen wird, bevor eine Mindestmenge in den Raum gestellt wird.

Auswirkungen der Mindestmengen für TAVI

Sollten sich diese Mindestmengen im weiteren Beratungsverfahren durchsetzen, werden sie zu erheblichen Veränderungen in dem bereits jetzt stark reglementierten Feld mit strikt überprüften Strukturvorgaben der bisher 85 Zentren mit sich bringen, die TAVI-Implantationen durchführen dürfen. Es stellt sich also die Frage, wie Prof. Hecken zu diesen Zahlen kommt. Dies ergibt sich auch nicht aus der Anlage zu dem Beschluss, die eine ausführliche Aufzählung bekannter Literaturdaten zu Klappeninterventionen darstellt (6). Legt man die Daten der größten US-Studie zur Korrelation von Mindestmenge und Ergebnisqualität zugrunde, die auch der Kommentar des G-BA heranzieht (2), würde dort eine Mindestzahl von 85 pro Zentrum bereits zu einer Schließung von 415 der 554, d.h. 75 % der Zentren in den USA führen. Welche Konsequenzen die höhere Mindestzahl von 150 pro Zentrum in Deutschland haben würde, kann man sich daher gut vorstellen. Trotz der hohen Zahl eingeschlossener Patienten handelte es sich zudem bei der US-Analyse lediglich um eine retrospektive Observationsstudie. Auch stellen die Autoren fest, dass gerade in kleinen Zentren die Qualität sehr stark variierte und die Daten nicht auf soziale Faktoren und Gebrechlichkeit („Frailty“) adjustiert waren, die gerade bei TAVI wichtig sind. Es ist schwer vorstellbar, dass derartig vorläufige Daten als Grundlage für weitreichende Entscheidungen der Versorgungssteuerung in Deutschland dienen sollen. Seit Monaten ist die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie bemüht, die Daten aus dem laufenden TAVI-Qualitätssicherungsverfahren des IQTIG zur Analyse zu erhalten. Solche Daten aus Deutschland sind zwingend zu fordern, bevor irgendeine Entscheidung zu TAVI-Mindestmengen getroffen werden kann. Aber vielleicht liegen Prof. Hecken diese Ergebnisse bereits vor. Es stellt sich dann die Frage, welches Delta der Qualitätssteigerung zu dieser Entscheidung geführt hat.

Hätte man die Mindestmenge gegenüber den bisher empfohlenen 50 Fällen pro Jahr und Institution um ca. 30 bis 50 % erhöht, so hätte dies der Fallzahlsteigerung aufgrund der wissenschaftlich belegten Indikationsausweitung entsprochen und es würde wohl keine wesentliche Verminderung der Zentren eintreten. Es darf bezweifelt werden, ob der verbleibende Qualitätsunterschied aufgrund der Studienlage zwischen einer Menge von ca. 65 bis 80 Fällen pro Jahr im Vergleich zu 150 einen solchen Schritt rechtfertigt, der einer ganzen Reihe von Zentren in Zukunft die Durchführung von TAVI-Implantationen verbietet?

Klageweg: Bundessozialgericht

Die betroffenen Kliniken werden sicher klagen. Ob die Gerichte diesen Eingriff in die Versorgungslandschaft dann für verhältnismäßig halten, ist mehr als fraglich, auch wenn der Gesetzgeber im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes (KHSG) die geforderte Abhängigkeit der Behandlungsqualität von der erbrachten Leistung abgestuft hat und ausdrücklich einen vollbeweisenden Kausalzusammenhang zwischen Leistungsmenge und Ergebnisqualität nicht mehr für erforderlich hält (1).

Dass dies nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt eine Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2015 im Bereich der Mindestmengen  bei Frühgeborenen, in dem die vom G-BA erhöhte Mindestmenge gekippt wurde, da die Qualitätsunterschiede zu Zentren, die gering unterhalb dieser Schwelle lagen, zu gering waren, um die Maßnahme einer Schließung der Einrichtung zu rechtfertigen. Mit der Erhöhung der Mindestmenge von 14 auf 30 habe der G-BA „seinen Beurteilungsspielraum überschritten“, so das BSG damals (7). Es drängt sich der Eindruck auf, dass der G-BA gerade dabei ist, genau dies bei der Beurteilung der TAVI-Mindestmenge wieder zu tun. Denn auch bei TAVI sind die Unterschiede in der 30-Tage-Mortalität in der amerikanischen Studie zwischen der Gruppe mit dem niedrigsten  3,1 % und dem höchsten Volumen 2,61 % besonders ausgeprägt, nehmen aber zwischen Zentren mit einer jährlichen Zahl von 80 bzw. 150 Interventionen deutlich ab (2).

Tatsächliche Qualität vor Ort

Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum erst auf Gerichtsbeschluss die tatsächlich geleistete Qualität vor Ort Einfluss, wie bei den Frühgeborenen, in die weitere Entscheidung der Krankenhaus Planungsbehörde gefunden hat. Bei den vor Jahren festgelegten Richtlinien zur TAVI-Durchführung durch den G-BA sind nachweislich auch Zentren mit guter Qualität auf der Strecke geblieben, teilweise mit deutlich besseren Ergebnissen als der große Nachbar vor Ort, der allerdings die Strukturvorgaben erfüllte. Dass da Unheil droht, schwant auch dem G-BA, denn er schreibt: „Eine ausnahmsweise Leistungserbringung mit entsprechendem Vergütungsanspruch ist nur dann möglich, wenn ein Krankenhaus eine Leistung erstmalig oder erneut erbringen möchte oder wenn der G-BA für die Leistung den Ausnahmetatbestand „Hohe Qualität“ vorgesehen hat. Darüber hinaus können in den Mindestmengenregelungen leistungsspezifische Ausnahmetatbestände festgelegt werden“(4). Diese Hereinnahme der Qualität am Standort in die Beratungen über Konsequenzen - beispielsweise der Schließung - ist ausdrücklich zu begrüßen.

„Beurteilungsspielraum“ des G-BA

Betrachtet man die Mindestmenge unabhängig von der Indikation TAVI, muss angemerkt werden, dass Mindestmengen zur Qualitätssteigerung eingeführt werden - nicht aber als Instrument zur Strukturbereinigung durch die Hintertür. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dies im vorliegenden Fall aber das Ziel ist. Ähnlich befürchten es Kollegen bei Festlegung der Zahlen für die Stammzelltransplantation, die sich derzeit in der Beratung befinden (8). Da wir mit TAVI erst am Beginn der Neufestlegung der Mindestmengen für zahlreiche andere Leistungen in absehbarer Zeit stehen, müssen wir dem Vorgehen in diesem Fall grundsätzlich widersprechen. Das darf kein Präzedenzfall für die zukünftige Festlegung von Mindestmengen sein. Die Fachgesellschaften müssen rechtzeitig mit eingebunden werden. Dazu sind die Registerdaten und Studien, die in die Entscheidung einfließen, für eine Stellungnahme zugänglich zu machen, bevor man sich auf eine „Arbeitshypothese“ und erst recht eine konkrete Mindestmenge festlegt. Diese an sich selbstverständliche Forderung richtet sich im Falle von TAVI an die Adresse des IQTIG. Wo bleibt hier die schon so oft vergeblich geforderte (und im Institutsnamen sprichwörtlich enthaltene) Transparenz? Die Evidenz der Qualitätsunterschiede, aber auch der Streubereich sind zu beurteilen. Als Experten können nicht ausschließlich die gefragt werden, die bei besonders hohen Mindestmengen im Vorteil sind, weil sie die Nachbarklinik als Konkurrenten verlieren. Entsprechend sind auch Kliniken anzuhören, die im Grenzbereich oder darunter der zukünftigen Mindestmenge gelegen sind. Bei der Festlegung spielt die Verhältnismäßigkeit der Festlegung und ihre Auswirkung auf die Versorgungslandschaft eine große Rolle, das meint auch das BSG mit dem Begriff „Beurteilungsspielraum“. Nur dann ist der Beschluss im Verlauf auch rechtssicher. Eine Vorab-Festlegung durch einen angeblich unparteiischen Vorsitzenden stellt aus unserer Sicht einen formalen Verfahrensfehler da, der ihn an sich durch diesen offenkundigen Bias von einer späteren Abstimmung in der Sache ausschließt.

Eingriff in die Planungshoheit der Länder

Natürlich wird bei diesem Vorgehen auch wieder der Vorwurf laut, dass der G-BA unter dem Einfluss interessierter Bänke die Planungshoheit der Länder unterlaufe. Die flächendeckende Versorgung mit Zentren zur TAVI-Implantation in ihrem jeweiligen Bundesland gehört sicher zu den grundlegenden Planungsentscheidungen. Eine Schließung einer ihrer Zentren, die ja bisher und wohl auf Weiteres ausschließlich an Kliniken mit einer Herzchirurgie bestehen, werden sie nicht zulassen, wie sie auf Rückfragen zu den Vorgängen schon erklärten.

Literatur

  1. Mindestmengenregelungen für stationäre Leistungen grundlegend überarbeitet. https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/715/ abgerufen 13. Juli 2020
  2. Procedural Volume and Outcomes for Transcatheter Aortic-Valve Replacenment. S.Vemulapalli, J.D.Caroll, M.J. Mack, N Engl J Med 2019 380,26 2541-2550
  3. Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und der Deutschen Gesellschaft für Thorax-,Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) zur kathetergestützten Aortenklappenintervention (TAVI) 2020. Kardiologie 2020 14:182-204
  4. G-BA nimmt Beratungen für eine TAVI-Mindestmenge auf. https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/870/ abgerufen 13. Juli 2020
  5. 2018 AATS/ACC/SCAI/STS Expert Consensus Systems of Care Document: Operator and Institutional Recommendations and Requirements for Transcatheter Aortic Valve Replacement: A Joint Report of the American Association for Thoracic Surgery, American College of Cardiology, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, and The Society of Thoracic Surgeons.  Bavaria et al., J Am Coll Cardiol 2019; 73 (3): 340 – 7. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2018. Juli 2002
  6. Vorschlag der Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses. Festsetzung einer Mindestmenge für die Durchführung von kathetergestüzten Aortenklappenimplantationen (Transcatheter aortic-valve implantation/TAVI) https://www.g-ba.de/downloads/40-268-6675/2020-06-18_Mm-R_Einleitung-Beratungsverfahren_Mindesmenge-TAVI_Anlage.pdf abgerufen 13. Juli 2020
  7. Die Festsetzung der Mindestmenge von jährlich 14 in Perinatalzentren der obersten Kategorie zu behandelnden äußerst geringgewichtigen Früh- und Neugeborenen ist rechtmäßig. http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/19ke/page/bsjrsprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=10908&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE121921501&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint abgerufen 13. Juli 2020
  8. Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Qualität des Behandlungsergebnisses bei Stammzelltransplantation - Rapid Report  https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/versorgung/v18-02-zusammenhang-zwischen-leistungsmenge-und-qualitaet-des-behandlungsergebnisses-bei-stammzelltransplantation-rapid-report.10146.html abgerufen 13. Juli 2020
  9.  

Anschrift der Verfasser

Priv. Doz. Dr. med. Michael A. Weber
Verband der leitenden Krankenhausärzte Deutschlands e.V.
Tersteegenstr. 9, 40674 Düsseldorf
weber@vlk-online,de

Prof. Dr. med. Christoph Stellbrink
Arbeitsgemeinschaft leitende kardiologische Krankenhausärzte
Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin
Klinikum Bielefeld Mitte
Teutoburger Straße 50
33604 Bielefeld
christoph.stellbrink@klinikumbielefeld.de

Prof. Dr. med. Volker Schächinger
Arbeitsgemeinschaft leitende kardiologische Krankenhausärzte
Medizinische Klinik I – Kardiologie, Angiologie
Intensivmedizin, Herz-Thorax-Zentrum Fulda
Pacelliallee 4
36043 Fulda
volker.schaechinger@klinikum-fulda.de

Prof. Dr. med. Hans Martin Hoffmeister
Berufsverband Deutscher Internisten e.V.
Klinik für Kardiologie und Allgemeine Innere Medizin
Klinikum Solingen,
Gotenstr. 1
42653 Solingen
hoffmeister@klinikumsolingen.de