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Interviews und Meinungen

Stehen die Krankenhäuser vor einer Transformation?


Quelle: Messe Düsseldorf/Constanze Tillmann


Quelle: VKD-Umfrage, 10 bis 11–2020, n = 262


Quelle: VKD-Umfrage, 10 bis 11–2020, n = 262


Quelle: VKD-Umfrage, 10 bis 11–2020, n = 262


Quelle: VKD-Umfrage, 10 bis 11–2020, n = 262. Keine Angabe 2019: 7 %; 2018: 8 %


Quelle: VKD-Umfrage, 10 bis 11–2020, n = 262. Keine Angabe 2021: 7 %; 2020: 5 %

Im Hotspot

Die aktuelle Corona-Pandemie hat real und kommunikativ eine Totaldiffusion der Gesellschaft erreicht. Die Omnipräsenz in den Medien hat auch die Kernleister in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt: Krankenhäuser, Ärzte und vor allem Pflegende, die sonst eher im Hintergrund agieren. Flugreisen in den Urlaub, die Fußballbundesliga oder die neuesten Erkenntnisse Michael Wendlers schienen bislang wichtiger als die Gesundheitsversorgung. Was der aktuelle Fokus für die Zukunft unserer Branche bedeutet, wird schon diskutiert, ist aber noch längst nicht ausgemacht. Klar scheint, dass es zu einem neuen Spiel mit neuen Regeln kommen könnte. Was erwartet die Gesellschaft von den Krankenhäusern in den nächsten zwanzig Jahren?

Das Paradigma

Thomas Kuhn (1967), ein bedeutender Vertreter der Wissenschaftstheorie, entwarf in den 1960er-Jahren den Begriff des Paradigmenwechsels. Anomalien seien Erkenntnisse, die nicht mehr zum aktuellen Erkenntnissystem passten und so nach und nach zum Übergang auf ein neues Paradigma führten. Beispiel: von der Physik Newtons zur Relativitätstheorie Einsteins. Im übertragenen Sinne erkennt man auch in der Krankenhausbranche Anomalien. Sie könnten Treiber einer größeren Veränderung sein. Ein Paradigmenwechsel war in den 1990er-Jahren der Übergang von der Selbstkostendeckung über die Budgetdeckelung hin zu den Fallpauschalen. Das neue Paradigma umfasste folgende Komponenten:

  • Fallpauschalen mit einem politisch gewollten Wettbewerb der Krankenhäuser um Patienten und dem Credo „Geld folgt der Leistung“. Beides war Geschäftsgrundlage für die Einführung des Systems 2003.
  • Die bestehende Verpflichtung der Länder zur Übernahme der Investitionskosten, da diese in den Fallpauschalen nicht einkalkuliert sind.
  • Die auch mit den Fallpauschalen weiterbestehende Verpflichtung der Länder zur Strukturentwicklung der Krankenhausbranche.
  • Die Sicherstellung der stationären Leistungen durch Krankenhäuser und der ambulanten Leistungen durch Kassenärzte.
  • Die Tabuisierung der Selbstkostendeckung.

Anomalien

Insbesondere in den letzten neun Jahren haben gesetzliche Änderungen zu einer Kumulation von Anomalien geführt. So galt der Grundsatz „Geld folgt der Leistung“ nicht mehr, als beginnend mit dem GKV-Finanzierungsgesetz vermehrte Rabattstaffeln eingeführt wurden: doppelte Degression, zunehmende Fixkostenunterfinanzierung der Standorte für die Grundversorgung mit immerhin etwa 50 Prozent Anteil an allen Krankenhäusern, eine relativ zur Kostenentwicklung fortgesetzte Abstaffelung der Landesbasisfallwerte und insbesondere ab 2017 eine monetär getriggerte Rabattorgie von MDK-Prüfungen (vergleiche Düllings 2018; 2019).

Fairerweise muss man sagen, dass einiges davon durch den Gesetzgeber teilweise auch wieder zurückgenommen wurde. Das Rabattsystem ist aber nach wie vor wirksam und erhöht insbesondere auf die Grundversorger maximal den ökonomischen Druck. Denn die andere Seite der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern wird von den Ländern nicht eingehalten. Lag die Investitionsquote vom Umsatz Anfang der 1990er-Jahre noch über neun Prozent, liegt sie heute bei rund drei Prozent. Das bedeutet eine jährlich kumulierende Unterfinanzierung der Investitionen von rund sechs Prozent. Ein Teil davon wurde aus den Betriebserlösen generiert durch Prozessoptimierung, insbesondere in der Pflege, bis diese Optimierung nicht mehr möglich war. Ein anderer Teil wird zunehmend durch Aufschieben nötiger Investitionen generiert – nicht selten über zwanzig Jahre lang.

Ein weiterer Faktor des Rabattsystems ist die ambulante Notfallversorgung mit zehn Millionen Patienten pro Jahr an Kliniken, während im eigentlich zuständigen KV-System neun Millionen versorgt werden (ZI 2019, Seite 4). Die Übernahme dieser Aufgabe und damit die Sicherstellung bedeuten eine Unterfinanzierung von einem weiteren Prozent. Patienten, die an anderer Stelle nicht versorgt werden, lehnen Krankenhäuser nicht ab, auch wenn ihnen die Kosten dafür nicht erstattet werden. Sie sehen sich als Letztversorger der Gesellschaft. Die Kosten nicht zu bezahlen, ist allerdings unfair und stellt das System an der Grenze ambulant-stationär infrage. Zusammenfassend sind folgende Anomalien zu erkennen:

  • Die Fallpauschalen funktionieren nicht so, wie es die Geschäftsgrundlage vorsah, mit der man in der Selbstverwaltung die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern am System der Fallpauschalen vereinbart hat.
  • Die Investitionskosten werden überwiegend nicht von den Ländern finanziert.
  • Wenn schon die Regelinvestitionen nicht funktionieren, wird man von den Ländern kaum eine in die Zukunft gerichtete Strukturentwicklung durch zielgerichteten Einsatz von Fördermitteln erwarten dürfen.
  • Die Aufgabenteilung zwischen Krankenhäusern und Kassenärzten funktioniert nicht, auch wenn die Wahrnehmungen der einschlägig befassten Verbände hier auseinandergehen. Was der Gesetzgeber hier bislang geleistet hat, ist Stückwerk und zu theoretisch.
  • Schließlich wurde das Tabu der Selbstkostendeckung gebrochen – wahrscheinlich zurecht, da Krankenhäuser eher für Daseinsvorsorge und weniger für Profitgenerierung da sind.

Aktuelle Lage in der Corona-Pandemie – VKDUmfrage 2020

In einer Online-Befragung der VKD-Mitglieder von Oktober bis November 2020 haben wir einige Aspekte zum Vorgenannten mit Blick auf die Bewältigung der Corona-Pandemie abgefragt. Hilfreich war, dass alle Ergebnisse aus der ersten Welle einschließlich des Schutzschirms bis Ende September abschließend bewertet werden konnten. Die Ergebnisse sind nachfolgend zusammengefasst. Angeschrieben wurden 1 770 Mitglieder, geantwortet haben 413. Mit 23 Prozent lag die Rücklaufquote etwas über dem Niveau der Umfrage 2017 (21 %). Für die folgenden Fragen konnten 262 Rückmeldungen (15 %) ausgewertet werden. Nach Bettengrößenklassen entsprach die Verteilung in etwa der Grundgesamtheit. Unterrepräsentiert waren Uniklinika und Privatkliniken. Abgefragt wurden in erster Linie Einschätzungen und Bewertungen mit einer Skalierung von 1: sehr gut, 2: gut, 3: mittel, 4: schlecht und 5: sehr schlecht. Zur Vereinfachung wurden die Kategorien 1 und 2 zur Bewertung „gut“ sowie 4 und 5 zur Bewertung „schlecht“ zusammengefasst. Die mittlere Kategorie entfällt.

Frage 1 zeigt, dass vor allem das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Verbesserung der Betriebssicherheit und Hygiene mit über 90 % positiv bewertet wurden. Ebenso positiv bewertet wurde das Management durch Ärzte, Pflege, Verwaltung, Beschaffung etc. (89 %), die frühzeitige Einschätzung der Lage (85 %) und die Umstrukturierung des Krankenhauses (83 %). Deutlich schlechter fielen die Bewertungen bei der Verfügbarkeit von Intensivkapazitäten und Beatmungsgeräten (72 %) sowie von Schutzmaterial, wie Masken, Kittel, Desinfektionsmittel etc. (50 %), aus.

Auch wenn die Krankenhäuser regulär im Wettbewerb miteinander stehen, haben sie sich zu Frage 2 in der Zusammenarbeit zur Bewältigung der Corona-Pandemie mit 64 % die besten Bewertungen gegeben und dies ebenso dem Krisenmanagement von Land, Kreis und anderen Behörden (64 %) sowie Gesundheitsämtern (63 %). Weniger gut bewertet wurde die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten (31 %), Krankenkassen (29 %) und Lieferanten von Beatmungsgeräten, Schutzmaterial etc. (29 %). Besonders schlecht wurde die Zusammenarbeit mit der KV bewertet. Nur 11 % haben sich hierzu positiv geäußert, 60 % negativ.

Die Finanzierung von Kosten und Erlösausfällen zusätzlich zum Schutzschirm (Frage 3) wurde positiv bewertet bei Beatmungsgeräten (63 %) und Intensivkapazitäten (50 %). Eher negative Bewertungen wurden abgegeben bei Erlösausfällen außerhalb der Fallpauschalen (62 %), Corona-bedingten Mehrausgaben wie etwa für Umbau, Tests (52 %) und erwartungsgemäß Erlösverlusten wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe (76 %). Die wirtschaftliche Entwicklung (Frage 4) stellt sich für die meisten Krankenhäuser negativ dar – Tendenz steigend. Defizite weisen 33 % in 2018 und 37 % in 2019 aus. Nach dem Krankenhausbarometer 2020 des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI 2020: 49) liegen diese Zahlen noch höher, bei 44 % für 2019. Eine für den Substanzerhalt nötige Umsatzrentabilität von über 4 % (KPMG 2009) konnten 2018 nur 10 % und 2019 nur 7 % der Krankenhäuser erreichen.

Auch die weitere Entwicklung (u Frage 5) wird überwiegend kritisch gesehen. Für 2020 geht – trotz der vermeintlich „üppigen“ Freihaltepauschalen – die Mehrzahl der Krankenhäuser (47 %) davon aus, dass die Umsatzrentabilität weiter sinkt. Für 2021 sind dies sogar 65 %. Damit werden die pessimistischen Einschätzungen renommierter Forschungsinstitute wie das RWI in Essen, Roland Berger in München und das DKI in Düsseldorf bestätigt.

Systemkrise und Alternativen

Die genannten Ergebnisse sind eindeutig. Mit derart hohen Zahlen defizitärer Krankenhäuser kann die Patientenversorgung in Zukunft nicht sichergestellt werden. Aber wo sollte eine grundlegende Reform ansetzen? 

  • Bei der Finanzierung? Einfach mehr Geld für Betriebs- und Investitionskosten scheint angesichts zunehmender Kreditaufnahmen des Staates in den nächsten Jahren eher unwahrscheinlich.
  • Bei den Strukturen? Wäre möglich und wird auch seit einigen Jahren von Leopoldina, Bertelsmann und aktuell in einem „Richtungspapier“ (Barmer et al. 2020) sowie in der Krankenhausplanung Nordrhein- Westfalens diskutiert.
  • Bei der Digitalisierung? Wäre sinnvoll aus Sicht internationaler Erfahrungen und auch der während der Corona-Pandemie.
  • Oder weiter so? Dies scheint wohl die Alternative zu sein, die am wenigsten gewollt ist. Also wird man sich mit der Transformation beschäftigen müssen.

Transformation der Versorgungsstrukturen mit Corona

Zu sagen, man bräuchte in Deutschland nur 600 Krankenhäuser (Bertelsmann 2019), ist zunächst ein genialer Schachzug im Agenda Setting der krankenhauspolitischen Debatte. Zumal im ersten Aufschlag die Leopoldina (2016) noch von 330 Krankenhäusern sprach. Es stellt sich damit die dringende Frage nach der wissenschaftlichen Evidenz solcher Thesen. Zumal sich hier die „renommiertesten deutschen Krankenhausexperten“ (Bertelsmann 2019: 2) mit einem solchen Eigenlob zu Wort melden. Beruhigend für die Praxis scheint ja zu sein, dass nach dieser Evidenz mit weiteren drei Jahren und einer weiteren Verdoppelung der Zahlen in 2022 wohl wieder mit 1 200 Krankenhäusern zu rechnen wäre. Ein agiler Ansatz der Krankenhauspolitik.

Aber Scherz beiseite – natürlich lassen sich auch positive Argumente finden. Eine Konzentration der Leistungen auf weniger Standorte könnte zu höheren Quantitäten in größeren Fachabteilungen und damit zu einer höheren Qualität der individuellen Patientenversorgung durch mehr Übung und bessere Beherrschung auch seltener Komplikationen führen. Ebenso kann durch eine so verbesserte Erlössituation eine bessere personelle und technische Ausstattung geschaffen werden. Probleme der Mindestbesetzung und Überlastung der Beschäftigten können zumindest theoretisch vermieden werden. Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über ausreichend Ärzte und Pflegende. Von Experten wird als Problem die Verteilung auf zu viele Standorte gesehen (Bertelsmann 2019: 4), was theoretisch auch richtig erscheint.

Auf der anderen Seite stellten sich aus Sicht der Praxis aber ganz andere Fragen, die am Ende erfolgsrelevant sind. Wollen Pflegekräfte in Metropolen arbeiten und können sie sich die hohen Mieten dort leisten? Kompensiert die Fokussierung auf Maximalversorger auch einen Wegfall der Regelversorger, wenn es am Ende auf 600 Krankenhäuser hinausläuft? Welche Auswirkungen hat dieser theoretisch überzeugende Ansatz auf die Strukturqualität des Krankenhaussystems und dies insbesondere in ländlichen Regionen?

Eine Vorstellung davon, wie ein solches System im Krisenfall funktioniert oder eher nicht, lässt sich aus der ersten Corona- Welle ableiten. Die Überlastung des Gesundheitssystems zum Beispiel in Italien – aber nicht nur dort –, insbesondere in der Lombardei, wird von den o. a. Gutachtern auf das „stärker krankenhauszentrierte Versorgungssystem“ zurückgeführt. Dabei wird als Indikator auf die Hospitalisierungsrate als „Anteil kumulativer Hospitalisierungen an positiv bestätigten COVID- 19-Fällen“ abgestellt, die in Italien deutlich höher ausgefallen sei als in Deutschland (Barmer et al. 2020: 20-21).

Die Zahlen sind jedoch nicht um wesentliche intervenierende Variablen bereinigt worden, um eine solche Aussage zu verifizieren. So wurden in Italien Corona-Tests ab Ende Februar nicht mehr bei bloßem Verdacht auf eine Infektion, sondern nur noch bei Symptomen durchgeführt (FAZ 2020). Klar ist, wenn weniger getestet wird, dass dann auch die Hospitalisierungsraten und die Letalität im Verhältnis zu den dann niedrigeren Zahlen an Tests höher ausfallen sowie unter dem Radar mehr Menschen mit Infektionen unterwegs sind und dadurch die Pandemie anfachen. Auch werden im Richtungspapier Krankenhäuser als „Ausgangspunkte von Superspreader-Ereignissen“ (Seite 22) benannt, was aber nichts mit der Krankenhausstruktur zu tun hat, sondern mit der mehr oder weniger konsequenten Umsetzung von Hygienekonzepten. Praktiker wissen das. Krankenhäuser haben schon immer Infektionspatienten behandelt. Das sollte auch zum üblichen Handwerk gehören.

Was im Richtungspapier unerwähnt bleibt und in der Corona- Pandemie Leben rettet, ist die Krankenhausdichte. Die Lombardei verfügt über elf Krankenhäuser je eine Million Einwohner (106 zu 10 Mio. – Lombardei 2020). In Deutschland sind es 19 Krankenhäuser je eine Million Einwohner (1 585 bei 83 Mio. Einwohnern). Würde man die Versorgungsdichte der Lombardei auf Deutschland übertragen, gäbe es hier fast 700 Krankenhäuser weniger. Dies hätte sicher negative Auswirkungen auf die Pandemie-Bekämpfung. Dies zeigt sich aktuell in der zweiten Welle mit Überlastungen von Krankenhäusern, die hier in einem gestuften Versorgungssystem aber abgefangen werden können durch gezielte Verlegungen. Verlegungen sind kein Mangel, sondern im Gegenteil ein Qualitätsmerkmal. Verlegungen passieren regelhaft auch innerhalb des Krankenhauses, von der Normalstation auf die Intensivstation und zurück. So ist sichergestellt, dass der Patient immer die jeweils für ihn aktuell nötige Behandlung bekommt.

Das Krankenhaussystem der Lombardei war aufgrund der deutlich ausgedünnten Struktur überfordert. Klar ist: Gibt es zu wenig Krankenhäuser, zentriert sich die Inanspruchnahme auf die wenigen vorhandenen, und dies ohne Alternativen. Damit ist eine logistische und infrastrukturelle Überforderung vorprogrammiert: ein „Crowding-Effekt“ mit verheerenden Folgen (Düllings 2021a). Die Lombardei war nach der ersten Welle mit über 1 600 Corona-Toten je 1 Million Einwohner die am stärksten betroffene Region Europas. Auch in Deutschland geht die Corona-Letalität mit der aktuellen Welle deutlich nach oben, liegt aber mit unter 600 um etwa zwei Drittel unter der Letalität in der Lombardei.

Transformation der Versorgungsstrukturen ohne Corona

Lässt man das Krisenjahr 2020 außen vor, so ist für die nächsten zwanzig Jahre mit geordnetem Regelbetrieb die Frage berechtigt: Wie viele Krankenhäuser braucht das Land? Die Frage ist vielschichtig. Und die anschließende Frage ist: Wie kommen wir über zwanzig Jahre dahin?

Es gibt eine Blaupause der Transformation. Die neuen Bundesländer haben sie nach der Wiedervereinigung umgesetzt. Man könnte dazu noch den derzeitigen Innenminister Horst Seehofer befragen, der damals Gesundheitsminister war. Alle Informationen liegen vor. Die Blaupause wurde in Artikel 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes geregelt. Danach sollte ein Investitionsprogramm von 21 Mrd. D-Mark (10,7 Mrd. €) aufgelegt werden, das zu gleichen Teilen von Bund, Ländern und Krankenkassen von 1995 bis 2004 finanziert werden sollte. Die Finanzierung durch die Krankenkassen lief über tagesgleiche Zuschläge bis 2014.

Rechnet man eine Inflationsrate von 1995 bis 2019 von etwa 40 % hinzu, käme man heute auf ein Investitionsvolumen von rund 15 Mrd. € für rund 15 Millionen Einwohner einschließlich Ostberlin, also rund 1 000 € pro Einwohner für eine grundlegende Krankenhausstrukturreform. Interessant ist, dass auch Dänemark einen ähnlich hohen Betrag für die Neugestaltung seiner Krankenhausstruktur aufgewandt hat.

Eine Transformation der Krankenhausbranche darf natürlich auch die Schnittstelle ambulant-stationär nicht außen vor lassen. Das regelmäßig favorisierte Modell einer Sektoren übergreifenden Kooperation funktioniert nicht, weil eine Seite sich auf Kosten der anderen Seite vor allem bei aufwendigen Patienten – und dies sind insbesondere ambulante Notfallpatienten – entlastet. Wenn die Letztversorgung bei den Krankenhäusern gesehen wird und der Patient wirklich im Mittelpunkt stehen soll, wie man auch vonseiten der Politik betont, dann wäre die Empfehlung, sich dem Gedanken von Polikliniken an Krankenhäusern wie etwa in Österreich oder der Schweiz zu öffnen und herauszufinden, wie dies patientenorientiert und auch aus Sicht der Krankenkassen ökonomisch effizient umgesetzt werden kann. Entscheidend für den Patienten ist die Qualitätsverbesserung durch eine integrierte ambulant-stationäre Versorgung bis hin zur zeitnahen Nutzung sämtlicher diagnostischer Verfahren an einem Standort, die im KV-System nicht leistbar ist (Düllings 2021 b).

DRG-Transformation: Digital – Regional – Global

Eine weitere, vielleicht wesentlich größere Transformation steht den Krankenhäusern mit einer Strategie bevor, die man auch als DRG-System bezeichnen könnte: Digital – Regional – Global. Dahinter steckt die Idee, intern die Digitalisierung so weit voranzutreiben, dass man sich mit Gesundheitsdienstleistern in der Region vernetzen kann, vor allem natürlich, um Patienteninformationen digital auszutauschen und dies aber in einem weiteren Schritt auch überregional und global zu tun. Insbesondere die globale Vernetzung – deren Notwendigkeit auch die Corona-Pandemie 2020 vor Augen geführt hat – bietet Potenziale, die heute nicht einmal ansatzweise erkannt, geschweige denn genutzt werden können.

Bei einem zu erwartenden Wertschöpfungspotenzial der Digitalisierung für das Gesundheitswesen insgesamt laut McKinsey (2018) von rund 34 Mrd. € pro Jahr wäre dies wahrscheinlich die Top-A Priorität. Geht man von den üblichen Anteilen aus, könnte man in den Krankenhäusern mit vielleicht elf Mrd. € pro Jahr schon eine erhebliche Wertschöpfung realisieren, von der wir mangels Investitionsmittel heute aber noch weit entfernt sind.

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) hat der Bundesgesetzgeber zur Digitalisierung der Kliniken nun eine wichtige Tür aufgemacht. Der Bund stellt drei Mrd. € zur Verfügung, von den sechszehn Bundesländern erwartet er 1,3 Mrd. €. Damit sind aus Sicht des VKD Mittel für 2021 und 2022 verfügbar, sodass weitere Schritte folgen müssen, will man die digitale Transformation der Branche erfolgreich gestalten (vergleiche Meier et al. 2019).

Nach der VKD-Umfrage 2017 sind nur etwa 6 % der Krankenhäuser digitalisiert. Was derzeit in den Krankenhäusern umgesetzt wird, ist Basisdigitalisierung: WLAN-Ausbau, Digitalisierung der Ambulanzen, Dienstplansysteme, Anschluss medizinisch- technischer Geräte ans KIS, Scannen bisheriger Papierakten, Vorbereitungen zur Einführung der ePA. Strategische Innovationen wie die Einführung eines IHE-Standards stecken noch in den Kinderschuhen.

Ausgangspunkt sind vor allem die Hausaufgaben der Krankenhäuser selbst. Im Kreis Paderborn setzen wir aktuell ein strategisches Projekt um, das mit Fördergeldern des Landes NRW unterstützt wird. Beteiligt sind alle fünf Krankenhäuser und das Praxisnetz mit über hundert Praxen. Meines Wissens gibt es in keinem anderen der rund 300 Kreise in Deutschland ein solches Projekt. Ende 2022 wollen wir fertig sein.

Das Projekt könnte eine Blaupause auch für andere Regionen sein. Dabei sollte unbedingt die Demografie beachtet werden. Es werden immer mehr Ältere, die erkranken und ohne eine solche Infrastruktur nicht die Versorgungsqualität erhalten, die sie benötigen. An vielen Stellen dürfte das Credo Wirklichkeit werden: „Mehr Datenmobilität braucht weniger Personenmobilität.“ Versorgungsqualität und Sicherheit für den Patienten steigen. Ebenso die ökonomische Effizienz im intersektoralen Handeln der Gesundheitsdienstleister.

Allen Kolleginnen und Kollegen, die einerseits an der Vorbereitung der Umfrage mitgewirkt haben und andererseits dem VKD mit ihren Antworten wertvolle Informationen zur Verfügung gestellt haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Literatur
Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung, Bertelsmann Stiftung und Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) 2020: Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020. Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren, Berlin 24. November 2020.

Bertelsmann 2019: Neuordnung der Krankenhaus-Landschaft. Eine bessere Versorgung ist nur mit weniger Kliniken möglich, Daten, Analysen, Perspektiven Nr. 2, 07-2019.

DKI 2020 (Deutsches Krankenhausinstitut): Krankenhausbarometer 2020, Düsseldorf.

Düllings, Josef 2018: Das lukrative Geschäftsmodell der Krankenkassen, das Krankenhaus 11-2018, 1006–1008.

Düllings, Josef 2019: Platt durch Rabatt. Strukturwandel mit System ohne Verantwortung, das Krankenhaus 5-2019, 367–269. 

Düllings, Josef 2021a: Wissenschaftler in der Strukturdebatte, Status schlägt Argument, erscheint in: f & w 01–2021.

Düllings, Josef 2021b: Müssen Vorhaltungen anders finanziert werden? Erscheint in: Debatin; Ekkernkamp; Schulte; Tecklenburg (Hrsg.): Krankenhausmanagement, 4. Aufl. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin.

FAZ 2020: Wie andere Länder zählen: Nicht alle Corona-Toten kommen in die Statistik, Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.NET vom 4. April 2020.

KPMG 2009: Zukunft Deutsches Krankenhaus.

Kuhn, Thomas S. 1967: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp, Frankfurt am Main. US-Ausgabe: Chicago 1962.

Leopoldina 2016: Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem. 8 Thesen zur Weiterentwicklung zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft, Diskussion Nr. 7, 10–2016, Berlin.

Lombardei 2020: Abruf 21. Dezember 2020 von www.regione.lombardia.it. 

McKinsey & Company Inc. 2018: Digitalisierung im Gesundheitswesen: die Chancen für Deutschland, Düsseldorf.

Meier, Pierre-Michael; Josef Düllings; Andreas G. Henkel; Gunther Nolte (Hrsg.) 2019: Digitale Transformation der Gesundheitswirtschaft, Kohlhammer, Stuttgart.

ZI 2019 (Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung): Zahlen zur ambulanten Notfallversorgung in Deutschland, Berlin.

Anschrift des Verfassers

Dr. Josef Düllings, Präsident, Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands e.V. (VKD), Oranienburger Straße 17, 10178 Berlin