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Interviews und Meinungen

Pragmatiker und Brückenbauer


Copyright: kkvd/Jens Jeske

Interview mit dem künftigen Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Ingo Morell

Ihre Amtszeit als DKG-Präsident beginnt am 1. Januar 2021. Welchen Wunsch haben Sie für das kommende Jahr?

Der Wunsch ist einfach, und wahrscheinlich gehen sehr viele Menschen mit diesem Wunsch ins Neue Jahr: Dass es uns gelingt, Corona zu überwinden oder soweit einzuhegen, dass wir im nächsten Jahr wieder zu einem weitgehend normalen Leben kommen - und dass die Krankenhäuser die Situation weiter im Griff behalten.

Aber es sind nur sehr begrenzt die Kliniken, die das steuern: Alles hängt davon ab, wie wir die Zahl der Infektionen in den Griff bekommen. Wenn die weiter stark steigen, können wir im Krankenhaus nur unser Bestes geben, um alle Patienten gut zu versorgen.

Welches wird Ihr Kernthema als Präsident sein?

In den neun Jahren als Vizepräsident der DKG habe ich gelernt: Es gibt nicht das Kernthema in unserer Branche. Es gibt so viele Themen, und es ist unmöglich, zu sagen: Dieses oder jenes Thema ist das allerwichtigste. Abbau des Bürokratie-Wahnsinns, Weiterentwicklung des Krankenhaus-Finanzierungssystems, Pflegebedarfsbemessung, wirtschaftliche Sicherung der Kliniken in der Corona-Krise, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Attraktivität des Arbeitsplatzes Krankenhaus: All diese Themen beschäftigen uns gleichermaßen. Viele Themen setzen wir uns auch nicht selbst, sondern sie werden von der Politik vorgegeben.

Welches Motto, welcher Leitsatz könnte Ihre Arbeit, IhreHerangehensweise am ehesten beschreiben?

Ich folge nicht unumstößlichen Prinzipien oder Leitsätzen, sondern gehe meist pragmatisch an die Dinge heran. Als DKG-Präsident möchte ich Brücken bauen zwischen dem politischen Betrieb in Berlin und den Häusern vor Ort in den Regionen. Dazu gehört auch, den eigenen Mitgliedern zuzuhören und die Praktiker in den eigenen Reihen zu fragen, wie politische Entscheidungen konkret vor Ort wirken. Ich versuche, auch als Geschäftsführer der GFO, die Sichtweise der Praxis in die Verbandsebene und die Arbeit im Verband in Richtung Praxis zu kommunizieren. Das ist gar nicht so einfach: Gesetze und Verordnungen des Bundesgesundheitsministeriums oder Beschlüsse der Selbstverwaltung, des G-BA, sind oft schwer zu vermitteln.

Inwiefern?

Manche Kliniken klagen zum Beispiel aktuell über Beschlüsse zum „Rettungsschirm 2.0“. Künftig sollen demnach nur noch Kliniken der Notfallstufen 2 und 3 unter bestimmten Bedingungen Freihaltepauschalen bekommen. Diesen Regelungen im Rahmen des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes liegen Empfehlungen des Beirats zugrunde, in dem auch die Krankenhäuser vertreten sind. Da heißt es: Wie konntet ihr das nur mittragen? Dabei gilt aber: Das grundsätzliche Anliegen, finanziellen Ausgleich für pandemiebedingte Ausfälle nicht nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, ist ja richtig. Aber die Ausgestaltung und die Umsetzungshinweise sind wenig praktikabel, und das haben wir im Beirat auch so vertreten. So werden ca. 50 % der Covid-Patienten nach meiner Kenntnis in Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen in der Stufe 1 in der Notfallversorgung behandelt. Die können wir zum Beispiel nicht einfach ausschließen. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur stationären Versorgung in der Pandemie.

Ist das, was die Kliniken vom „Rettungsschirm 2.0“ erwarten können, nicht ausreichend?

Für 2021 bleibt ein großes Maß an Unsicherheit in Hinblick auf die Wirtschaftspläne für 2020/21. So wie im Moment im Gesetz vorgesehen, sollen die sogenannten Freihaltepauschalen nur Abschlagszahlungen sein, die dann irgendwie im Gesamtbudget 2021 verrechnet werden sollen. Entscheidend ist die Frage: Wie wird der Mindererlösausgleich für 2021 ausgestaltet sein? Und die Schlüsselfrage ist doch auch: Wie will man die Liquidität der Krankenhäuser 20/21 sichern? Die meisten Budget-Verhandlungen werden nicht zeitnah zu Ende gebracht werden können. Das heißt, die Kliniken müssen das Pflegebudget, im Zweifel auch Freihaltungen für Covid-19-Patienten, vorfinanzieren. Dass Häuser der Notfallstufe 1 für die Fortführung des Rettungsschirms nicht vorgesehen sind, das wird nicht funktionieren, das wird die Praxis zeigen. Außerdem gibt es weitere Kliniken, etwa Lungenfachkliniken, die berücksichtigt werden müssen.

Diese vielfältigen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind schwer berechenbar. Wir haben deutlich weniger Patienten für elektive Eingriffe in den Häusern, in manchen Kliniken mussten Stationen außer Betrieb genommen werden, etwa weil Mitarbeiter in Quarantäne mussten und das Personal fehlte. Wir hoffen und erwarten von Minister Spahn, dass er sein Versprechen hält: Kein Krankenhaus soll wegen der Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Wenn irgend möglich, sollte hier noch im Dezember 2020 eine Lösung gefunden werden. Wir setzen darauf, dass Minister Spahn auch hier im Zweifel für pragmatische Anpassungen offen ist, die der außergewöhnlichen Situation in der Pandemie Rechnung tragen.

Wenn wir als Kliniken jetzt auch noch die massive Unsicherheit in Bezug auf die wirtschaftliche Zukunft der einzelnen Kliniken haben, dann bleibt das den Mitarbeitern nicht verborgen. Bei allen Mitarbeitern im Krankenhaus liegen mittlerweile ohnehin die Nerven blank, die Belastung angesichts steigender Zahlen von Covid-19-Patienten ist groß, physisch und psychisch.

Sie leiten seit vielen Jahren als Geschäftsführer der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe mbH, ein nicht profitorientiertes Unternehmen, das den christlichen Werten des Ordens verpflichtet ist. Was bedeutet dies für Ihren Alltag als Geschäftsführer, wie wird dies Ihre Arbeit als DKG-Präsident prägen?

Unsere Probleme in der GFO sind die gleichen, die andere Kliniken auch haben. Daraus lässt sich wenig ableiten. Als DKG-Präsident vertrete ich nicht allein die Positionen der christlichen, freigemeinnützigen Träger. Die Interessen sind nicht allein von der Trägerschaft abhängig, auch und vor allem zum Beispiel von der Größe und dem Leistungsumfang. Die Interessenlagen der Krankenhäuser haben sich in den vergangenen 20 Jahren sicher recht stark auseinanderentwickelt. Letztlich sind viele Probleme aber doch sehr ähnlich, unabhängig von Größe und Trägerschaft. Die Trägervielfalt in der Krankenhauslandschaft ist ein Wert an sich. Da gibt es einen gewissen Wettbewerb, und das ist auch gut so. In vernünftigem Maße dient dieser Wettbewerb der Verbesserung der Patientenversorgung.

In der laufenden Legislaturperiode hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn praktisch jeden Monat ein Gesetz auf den Weg gebracht. Hat sich die Situation der Kliniken verbessert?

Das können wir noch nicht abschließend bewerten, vieles ist noch nicht voll umgesetzt. Doch betreffen ja die meisten Gesetze und Verordnungen, die Minister Spahn auf den Weg gebracht hat, auch die Kliniken. Da fragt man sich: Wie sollen wir das alles eigentlich bewältigen? Die Regelungsdichte bis auf die einzelnen Stationen hat mit jedem Gesetz zugenommen. Die Abläufe im Krankenhaus werden zunehmend fremdbestimmt. Auch dort, wo die Maßnahme ja eigentlich den Mitarbeitern der Kliniken zugutekommen und Entlastung schaffen soll, wie etwa bei den Personaluntergrenzen, kommt das bei den Mitarbeitern gar nicht mehr so an. Kritik daran kommt auch von der Pflege selbst: Flexible Einsatzmöglichkeiten der Pflegekräfte, angesichts der Knappheit an Fachkräften eigentlich unverzichtbar im Klinikalltag, werden so unnötig erschwert.

Vorübergehend wurden Personaluntergrenzen ausgesetzt, nun sollen sie ab Januar sogar verschärft und auf den Intensivbereich ausgeweitet werden. Können die Kliniken das leisten?

Wir wissen noch nicht, wie sich die Pandemie auf den Pflegekräftemangel auswirkt und welche Ausnahmegenehmigungen es künftig im Zuge der Corona-Krise geben wird. Grundsätzlich muss man aber fragen: Wie werden Untergrenzen ermittelt, welche Expertise steckt dahinter?

Dass wir den Pflegedienst besser ausstatten müssen, ist wohl unstrittig. Es geht aber nicht nur um die Pflege. Auch die Mitarbeiter in den anderen Bereichen sind wichtig. Man muss sich den gesamten Betrieb anschauen. Jahrelang wurde der Pflegedienst systembedingt runtergefahren – das können wir nicht in kürzester Zeit alles aufholen.

Aber ich erkenne durchaus an, dass Minister Spahn etwas zu bewegen versucht. Die Grundrichtung, die sich etwa im Pflegepersonalstärkungsgesetz zeigt, mit dem Versprechen, jede zusätzliche Pflegekraft werde unabhängig von Fallpauschalen mit dem Pflegebudget finanziert, ist richtig. Über die Umsetzung kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Auch muss sich die Politik darüber im Klaren sein, dass wir bei strengen Personaluntergrenzen gerade auf Intensivstationen uns im Zweifel früher von der Versorgung abmelden müssen. Das kann in der Corona-Krise nicht gewollt sein!

Ein vom BMG vorgelegter Referentenentwurf zu ambulanten Notfallleistungen gibt den KVen erhebliche Verantwortung, quasi als Türsteher für die Bewertung der Dringlichkeit einer Behandlung.

Das ist ein völlig falscher Ansatz in der Sache und überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen den Krankenhäusern Vorgaben zur Bewertung der Dringlichkeit von Behandlung und zu den Qualitätsanforderungen an das Personal machen, das ist schon ein echter Affront gegenüber den Kliniken. Den niedergelassenen Ärzten bzw. KVen werden Kompetenzen zugeordnet, die natürlich in die Hände der Krankenhaus-Ärzte und der Krankenhaus-Organisation gehören. Diese Kompetenz ist im KV-System schlichtweg nicht vorhanden. Zudem werden regionale Besonderheiten nicht berücksichtigt. Die Zahl der Niedergelassenen, die das machen könnten, gibt es in vielen Regionen gar nicht. Und dann sollen die geplanten Vorgaben auch noch nur für die medizinisch geleiteten Ambulanzen der Krankenhäuser und nicht einmal für die der Vertragsärzte gelten. Das ist erst recht unverständlich.

Auch die Führungsstruktur der DKG soll sich ändern. Was bedeutet dies für das Amt des Präsidenten, für das DKG-Präsidium insgesamt?

Der Impuls für eine Änderung der Führungsstruktur war eine Initiative des ehemaligen DKG-Präsidenten Thomas Reumann, dem Amtsvorgänger des aktuellen Präsidenten Dr. Gerald Gaß. Ziel ist es, die Strukturen der Krankenhausgesellschaft zeitgemäß weiterzuentwickeln. Dazu gehört, dass die Rolle des Hauptgeschäftsführers in der Öffentlichkeit deutlich gestärkt wird. Dem Präsidenten fallen künftig Aufgaben zu, die in etwa dem Amt eines Aufsichtsratsvorsitzenden entsprechen. Auf jeden Fall ist eine klare Aufgabenverteilung zwischen Hauptgeschäftsführung und Präsidenten sinnvoll. Das Amt des Präsidenten ist ein Ehrenamt. Die Anforderungen an das Ehrenamt sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Wenn man das Amt intensiv leben und ausfüllen und etwas bewirken will, dann ist es fast unmöglich, daneben noch seinen eigentlichen Job als Geschäftsführer einer Klinik oder eines Trägers zu machen. Der Präsident wird sich künftig stärker auf die internen Aufgaben in der Verbandsarbeit und politischen Hintergrundarbeit konzentrieren. Die Umsetzung wird aber in der Praxis in der Zusammenarbeit und gegenseitiger Abstimmung des Hauptgeschäftsführers mit dem Präsidenten, der Vizepräsidentin Dr. Gundula Werner und dem Vizepräsidenten Thomas Lemke erfolgen.

Wie wird das Zusammenspiel zwischen Ihnen und dem Hauptgeschäftsführer aussehen?

Insgesamt wollen wir als Verband mit den Anliegen der Krankenhäuser bewusst mehr in die Öffentlichkeit gehen. Dafür soll der Hauptgeschäftsführer stärker in der Öffentlichkeit auftreten können, er soll das Gesicht der DKG sein. Das wird von April 2021 an der derzeitige DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß sein, der Georg Baum nach seinem Eintritt in den Ruhestand nachfolgt. Der Präsident wird sich zurückhalten mit öffentlichen Auftritten. Der öffentliche Fokus liegt in der Person des Hauptgeschäftsführers. Diese Aufgabenstellung haben uns die Mitglieder und der Vorstand der DKG aufgetragen.

In der Praxis werden Dr. Gaß und ich uns eng abstimmen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies hervorragend gelingen wird, so wie wir auch in den vergangenen drei Jahren inhaltlich, fachlich und auch menschlich sehr gut auf der Präsidentenebene und mit dem derzeitigen Hauptgeschäftsführer Georg Baum zusammengearbeitet haben. Zum Jahresbeginn 2021 wird, neben Thomas Lemke, der als Vizepräsident weiterhin den Bundesverband Deutscher Privatkliniken vertreten wird, Dr. Gundula Werner, die Vorsitzende der Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen, als neue Vizepräsidentin ihr Amt aufnehmen. Ich bin sicher, dass uns das bewährte, gute Zusammenwirken auch in der künftigen Konstellation bestens gelingt. Wir kennen uns gut und werden uns zu viert gut ergänzen.

Die Diskussionen um die Notwendigkeit von Strukturveränderungen in der stationären Versorgung in Deutschland sind auch in der Corona-Krise nicht verstummt. Nach wie vor schreiben viele Kliniken, vor allem kleine Häuser, Verluste. Worauf müssen sich die Krankenhäuser einstellen?

Wirtschaftliche Probleme haben nicht nur die kleinen Krankenhäuser. Auch große kommunale Häuser oder Universitätskliniken berichten über massive Probleme. Im gesamten System läuft etwas falsch, der wirtschaftliche Druck auf die Branche steigt insgesamt. Nicht zu Unrecht ist oft vom „kalten Strukturwandel“ die Rede: Wer dem Druck nicht standhält, geht vom Markt, Fachkräfte und Patienten verteilen sich auf die übrigen Häuser – das ist die Hoffnung derer, die Krankenhausschließungen und „Strukturbereinigung“ als Allheilmittel für alle Probleme der Branche betrachten.

Durch wahllose Schließungen und Pleiten kann man kein System verbessern. Wir müssen uns regional jeweils die Strukturen unter Versorgungsgesichtspunkten ansehen: was ist notwendig, was verzichtbar? Wie kann die Versorgung verbessert werden? Vielleicht gelingt dies in einigen Fällen, indem mehrere kleine Kliniken durch ein größeres, moderneres Klinikum ersetzt werden. Das setzt natürlich das Einverständnis der Krankenhausträger voraus. Wenn die Politik bessere, vernünftige Strukturen schaffen will, muss sie aber auch in die Tasche greifen und die notwendigen Investitionen tragen. Es geht uns nicht um eine Bestandsgarantie für alle Kliniken, aber wir können die Strukturdebatte nicht nur unter dem Aspekt von Schließungen führen. Im Mittelpunkt muss eine gute Patientenversorgung stehen. Die kleinen Krankenhäuser dürfen nicht einfach verschwinden, ohne dass in der Versorgung insgesamt etwas passiert. Sonst werden vor allem ländliche Regionen ein großes Problem haben: Die stationäre Versorgung ist ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge und hat große wirtschaftliche Bedeutung für eine Region. Fehlt sie, leidet die Region insgesamt, wird unattraktiv auch für junge Arbeitnehmer.

Auch die in 2019 vieldiskutierte These der Bertelsmann-Stiftung, nach der wir in Deutschland nur 600 Kliniken bräuchten, ist nicht vom Patienten aus gedacht. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, was uns bisher so gut durch die Pandemie geholfen hat. Unbestritten ist dies, vielleicht vor allem, dem Umstand zu verdanken, dass wir eine breit aufgestellte Krankenhauslandschaft in Deutschland haben, um die uns andere Länder gerade in Zeiten der Pandemie beneiden.

Auch das hochgelobte Krankenhaussystem in den Niederlanden, mit dem sich Nordrhein-Westfalen immer vergleichen lassen  muss, wenn es um Forderungen nach effizienteren Strukturen geht, stößt an seine Grenzen, nicht nur in Zeiten europaweit steigender Zahlen von Covid-Patienten. Immer wieder erreichen uns Anfragen aus Holland, ob wir Patienten aus Holland aufnehmen können.

Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz sollen den Krankenhäusern erhebliche Summen für die Digitalisierung bereitgestellt werden. Vom „DigitalPakt Schule“ ist nach anderthalb Jahren Laufzeit nur ein Bruchteil der vom Bund bereitgestellten 5 Mrd. € in den Schulen angekommen: Zuviel Bürokratie beim Antragsverfahren. Können die Kliniken diese Chance besser nutzen?

In Zusammenhang mit dem Krankenhauszukunftsgesetz lassen Sie uns festhalten: Da passiert jetzt wirklich etwas! Was damit auf Landes- und Bundesebene auf die Schienen gesetzt wurde, muss man auch anerkennen. Wir werden sehen, wie die Dinge jetzt umgesetzt werden können. Viele Träger stehen in den Startlöchern und warten darauf, dass die Antragsformulare fertig gestellt werden, um ihre Förderanträge zu stellen. Die Frage ist dann, wie schnell wird das alles umgesetzt werden können? Und welche Auflagen, welche Nachweispflichten gibt es? Wir hoffen darauf, dass sich das Prozedere möglichst unbürokratisch gestalten wird.

Wie kann die Rolle der Krankenhäuser in der Selbstverwaltung gestärkt werden?

Dass wir im G-BA regelmäßig überstimmt werden, daran werden wir auch in Zukunft nichts ändern. Doch in der schwierigen, oft mühsamen und kleinteiligen Arbeit in den Ausschüssen und Gremien leisten die Fachleute der DKG wirklich gute Arbeit, und vieles kann auch im Sinne der Krankenhäuser erreicht werden. Notwendigerweise werden viele Beschlüsse im G-BA im Spannungsverhältnis der Interessen der verschiedenen Bänke im Kompromiss erreicht. Das ist oft ein zäher, nicht immer einfach zu vermittelnder Prozess. Vielleicht gelingt es uns nicht immer, die Ergebnisse den Praktikern in den Kliniken zu vermitteln, vor allem, wenn wir uns nicht durchsetzen.

Hat sich die gemeinsame Selbstverwaltung in der Pandemie bewährt?

Tatsächlich hat die Zusammenarbeit der Akteure im Gesundheitswesen auch über Sektorengrenzen hinweg im Corona-Beirat gut funktioniert. Gemeinsam haben alle dazu beigetragen, diese Herausforderungen bis jetzt zu bewältigen. Alle Beteiligten haben im Zweifel ihre Interessen zurückgestellt, um eine Lösung zu finden. Das war wirklich eine wohltuend andere Erfahrung als gewöhnlich.

Ärzte und Pflegende klagen über überbordende Bürokratie. Ist die Arbeit in der Klinik noch attraktiv?

In der Krisensituation ist es für die Mitarbeiter der Kliniken, insbesondere auf den Covid-Stationen, extrem anstrengend und sehr fordernd, weit über das normale Maß hinaus. Ich bin sehr dankbar für das, was unsere Mitarbeiter dort täglich leisten. Doch auch in der Krise ist die Arbeit im Krankenhaus, ob als Arzt oder als Pflegekraft, nicht unattraktiv. Wir erleben, dass sich viele ehemalige Pflegekräfte melden, um als Wiedereinsteiger zu helfen. Das ist gelebte Solidarität. Das macht mich stolz und ich empfinde großen Respekt gegenüber allen Kollegen in den Kliniken. Vieles wird auch einfach schlechtgeredet. Es ist eine zutiefst sinnvolle Arbeit. Die Arbeitszeiten, das „aus dem Frei holen“, das ist schon ein Problem. Das wird man nur mit mehr Personal auffangen können. Aber mehr Personal bedeutet am Ende auch: mehr Kosten. Und wir brauchen mehr Menschen, die diese Berufe erlernen und ausfüllen. Dafür müssen sich die Rahmenbedingungen ändern. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Hier hat auch die Politik bereits viel bewegt. Stichworte sind hier: Generalistik, Pflegeförderung, jede neue Pflegekraft wird finanziert. Die Krankenhausträger haben beispielsweise sogenannte Flexpools in den Häusern etabliert. Es gibt viele gute Ansätze auf allen Ebenen, aber es wird Zeit brauchen, bis dies in der Breite wirken kann. Auch hier gilt: Schließungen werden nicht das Rezept oder Allheilmittel für Personalknappheit sein. Aber wir müssen das Problem des Fachkräftemangels mit aller Kraft angehen.

Was können Krankenhäuser, was kann die Krankenhauspolitik aus der Pandemie lernen?

Ich glaube, dass sich unsere föderale Struktur wirklich bewährt hat in der Krise. Die Zusammenarbeit der Kliniken, auch unterschiedlicher Trägerschaft, hat, wenn es wirklich eng wurde, richtig gut funktioniert. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten, den KVen und den Gesundheitsämtern.

Auch hat die Pandemie uns gezeigt, wie abhängig wir von vielen Produkten und ihren Lieferketten sind. Und die Krise hat die Bedeutung der Mitarbeiter im Gesundheitswesen auch der Öffentlichkeit einmal mehr deutlich aufgezeigt.

Vor allem aber hat Corona gezeigt, dass wir froh sein sollten über unsere Krankenhausstruktur.Man darf das System der stationären Versorgung nicht komplett auf Effizienz trimmen. Sonst bleiben keine Reserven für Krisen wie wir sie jetzt erleben. Es ist eine sehr wichtige politische und gesellschaftliche Entscheidung: Wie viele Kapazitäten wollen wir uns leisten, um gegen solche Krisen gewappnet zu sein?

2021 steht auch eine Bundestagswahl an. Was erhoffen Sie sich von der kommenden Bundesregierung?

Über diese Frage machen wir uns Gedanken, wenn wir die Corona-Pandemie ein bisschen besser im Griff haben. Natürlich werden wir uns weiterhin mit Krankenhausfinanzierung befassen müssen. Es kann nicht sein, dass sich eine Klinik als bedarfsnotwendiges Krankenhaus immer nur mit steigenden Patientenzahlen refinanzieren kann. Da stimmt etwas nicht im System. Dieses System muss angepasst werden und braucht dringend eine Korrektur, die auch Vorhaltekosten berücksichtigt.

Das Finanzierungssystem für die Krankenhäuser muss neu justiert werden auf die Bedarfe der Krankenhäuser und Patienten. Auch die sektorenübergreifende Versorgung sollte endlich ernsthaft und konsequent angegangen werden. Wir müssen aufpassen, dass wir mit einer neuen Bundesregierung die Überregulierung nicht weiter fortsetzen. Dies wäre vielleicht der wichtigste Punkt: dass die Regulierung und Bürokratisierung wirklich auf den Prüfstand gestellt werden. Wir dürfen nicht den Krankenhausbetrieb in immer kleinere Einzelbereiche aufbrechen und regulieren. Ein Krankenhaus funktioniert nur als Gesamtsystem.

Und was fürchten Sie?

Dass die großen Themen nicht wirklich angefasst werden: Planung, Finanzierung, Bürokratieabbau. Ich fürchte, dass es nach der Wahl, je nachdem, ob es eine Erholung von der Corona-Pandemie geben wird, wieder Spargesetze in großem Stil geben wird. Und dass weiter reguliert wird bis ins Kleinste. Hier müssen wir unbedingt gegensteuern: Wir werden unter dem Leitthema „Gemeinsam diskutieren, planen und entscheiden“ unsere im September gestartete „FAIR“-Kampagne auch 2021 fortsetzen und mit der Politik weiter in den Dialog treten.

Wie werden Sie in drei Jahren am Ende dieser Amtsperiode zurückblicken?

Wer würde sich heute auf die Frage eine Antwort zutrauen? Wer hätte vor drei Jahren geahnt, was heute uns beschäftigt? Nur eines ist sicher: Veränderung ist Bestandteil unseres Systems, und manchmal kommt es schneller, als einem lieb ist.

Das Interview führte Katrin Rüter