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Editorial

Corona in der Evaluation

DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum

Mit dem Abklingen der ersten und hoffentlich einzig bleibenden Welle der Corona-Pandemie breitet sich eine Evaluationsdiskussion aus, bei der Wahrheit, Wunsch und Wirklichkeit gut sortiert werden müssen. Zum Teil werden abenteuerliche Positionierungen zum Besten gegeben.

Nach Selbsteinschätzung der KBV waren die niedergelassenen Praxen die zentralen Träger der medizinischen Versorgung in dieser wohl größten Herausforderung für das deutsche Gesundheitswesen in der neueren Geschichte. „Ohne uns läuft nichts“ bilanziert die KBV den Beitrag der Vertragsärzteschaft und dankt im gleichen Atemzug der Politik dafür, dass der Schutzschirm das Recht auf Kurzarbeitergeld für die Praxen mit einschließt. Entsprechend schwierig war es für Patienten, Zugang zu Praxen und Tests zu erlangen. Praxisschließungen und Anrufbeantworteransagen mit der Empfehlung, in die Ambulanzen der Kliniken zu gehen, um sich testen oder behandeln zu lassen, waren tausendfache Erfahrungen, die die Bürger machen mussten. Dem gegenüber standen die Kliniken flächendeckend Tag und Nacht zur Verfügung.

Besonders gewagt ist die Einschätzung eines allseits bekannten Gesundheitsexperten, in Deutschland sei es dank der ambulanten Versorgung gelungen, die COVID-19-Infizierten weitgehend von den Krankenhäusern fernzuhalten, wo sie sich ansonsten wie in Italien oder Spanien nur angesteckt hätten. Die Wahrheit ist, dass in Italien und Spanien nicht genügend Krankenhauskapazitäten vorhanden waren, um alle Erkrankten aufzunehmen und dass hierzulande COVID-Patienten mit ernsthaften Symptomen ausreichende ambulante medizinische Versorgung nicht erhalten konnten. Rund 30 000 Patienten sind bislang stationär coronabedingt behandelt worden, davon ca. 10 000 intensivmedizinisch. Sicher hätten viele der leichter Erkrankten zu Hause behandelt werden können, wenn die ambulante Versorgung so gut funktioniert hätte, wie die KBV das zum Besten gibt. Dass Deutschland eine vergleichsweise niedrige Sterberate hat, ist einzig der flächendeckenden Verfügbarkeit über Qualitätsmedizin in den Krankenhäusern zu verdanken. Sie sind das Rückgrat der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung von COVID-Patienten. Die Gesundheitsämter und niedergelassenen Ärzte haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherlich unterstützende Hilfe geleistet.

Positiv hebt sich die Analyse von Minister Spahn mit dem Zugeständnis hervor, dass es bei der Bewältigung der Pandemie Fehler und Irrtümer gegeben habe. Damit verbunden ist die Mahnung, die Evaluation mit objektiven Einschätzungen und nicht misstrauischen Fehleinschätzungen zu erarbeiten. Dabei wird sich zeigen, dass die gemeinsame Strategie von Politik und Medizin, die Kapazitäten der Krankenhäuser für alle maximal erforderlichen Pandemiebedarfe frei zu halten, absolut richtig war. Keiner wusste, was letztendlich gebraucht werden würde. Wenn heute von Kassen kritisiert wird, dass mit der Freihaltepauschale für nicht erbrachte Leistungen Geld an Krankenhäuser gezahlt wird, zeigt das, dass sie das Prinzip nicht verstanden haben. Die Freihaltepauschale ist keine Bezahlung für COVID-Behandlungen. Dafür gibt es die Fallpauschalen, vielfach unzulänglich genug und deshalb auch der Bedarf für ergänzende Komponenten wie die Pauschalen für persönliche Schutzausrüstungen und den Kosten der Tests.

Bei der Freihaltepauschale ging es um Ausgleiche für freigehaltene Kapazitäten, und zwar nicht nur in Kliniken mit COVID-Patienten, sondern im gesamten System, um alle Anforderungen der Pandemie und des unabweisbaren Regelversorgungsbedarfes zu jeder Zeit gewährleisten zu können. Die Frage, was die Kliniken mit den Mitteln gemacht haben, ist damit beantwortet – sie haben freigehalten, um für den Ernstfall maximale Sicherheit für die Bevölkerung gewährleisten zu können.

Die nun vorgenommene Differenzierung der Pauschalen passt das Instrument der veränderten Lage an – hält aber am Grundprinzip fest. Denn die Vorhaltung von Kapazitäten, um für alle Eventualitäten des weltweit nach wie vor grassierenden Erregers gerüstet zu sein, ist weiterhin notwendig. Niemand kann heute vorhersagen, wo das Infektionsgeschehen mit neuen Hot-Spots aufflackert und dann dort die Krankenhäuser mit maximalen Leistungskapazitäten für die COVID-Patienten gefordert sind. Da hilft nur flächendeckende Vorsorge. Wenn Kassenvertreter dennoch abfällig von Gießkanne sprechen, stellen sie sich ins Abseits.