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Politik

Rückkehr in den Regelbetrieb erst in Monaten möglich


Abbildung 1


Abbildung 2


Abbildung 3

Daniel Schröer, Andreas Kamp, Pamela Bohne

Krankenhäusern drohen ohne geeignete Finanzierungsinstrumente erhebliche Defizite

Nachdem die erste Infektionswelle der Corona-Pandemie vorüber war, sollen Krankenhäuser seit Mai schrittweise den Regelbetrieb wieder hochfahren. Die seit Mitte März abgesagten planbaren Elektiveingriffe sollen schrittweise nachgeholt und die freigehaltenen Intensiv- und Beatmungskapazitäten für Covid-19-Patienten reduziert werden. Um eine Balance zwischen Covid-19-Bereitschaft und Regelversorgung der Krankenhäuser zu finden, müssen seitens der Länder entsprechende Regelungen getroffen werden. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), hat das Bundesgesundheitsministerium den Ländern folgendes stufenweises Vorgehen empfohlen:

a. „Bis auf Weiteres wird die von den Krankenhäusern freizuhaltende Intensivkapazität für COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf 25 % der insgesamt vorzuhaltenden Intensivbetten festgelegt und die OP-Kapazität kann in einem ersten Schritt zu 70 % für Elektiveingriffe geöffnet werden. Über diese Vorgabe hinaus sollten die Krankenhäuser in der Lage sein, je nach Pandemieverlauf innerhalb von 72 Stunden weitere Intensiv- und Beatmungskapazitäten zu organisieren.“

b. „Planung einer schrittweisen Erhöhung der OP-Kapazität für Elektiveingriffe um jeweils 10 % alle zwei Wochen bei gleichzeitiger sorgfältiger Re-Evaluation der vorhandenen regionalen und nationalen Intensivbettenkapazität und der auftretenden Neuinfektionen. Bei Bedarf Anpassung vor Ort, wenn die 25 %-Grenze unterschritten wird.“

c. „Ab einer elektiven OP-Kapazität von 90 % schrittweise Anpassung der Intensivbetten-Reserve in 5 %-Schritten alle 21 Tage – in Abhängigkeit von der Zahl der Aufnahmen aufgrund von SARS-CoV-19-Neuinnfektionen im Verhältnis zu den entlassenen Patientinnen und Patienten. Die untere Grenze der Intensivbetten-Reserve ist dabei abhängig von den Ergebnissen der epidemiologischen Entwicklung zu definieren.“

d. „Die Behandlungsrealität in den Krankenhäusern zeigt bei COVID-19-Patienten ein Belegungsverhältnis von 1:3 bezogen auf die Zahl der im Intensivbereich und der im Normalbereich behandelten Patienten. Dies gilt es auch bei der Freihaltung von Kapazitäten in der Normalversorgung, räumlich abgegrenzt von der Non-COVID-19-Versorgung, zu berücksichtigen.“

Daneben sind die auch weiterhin geltenden Hygienemaßnahmen einzuhalten, wie Abstandsregelungen bei der Belegung der Betten, Maskenpflicht oder Corona-Tests beim Personal und Neuaufnahmen. Diese Maßnahmen sind für Krankenhäuser mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Hiervon wird bis zum 30. Juni 2020 jedoch lediglich ein Teil, insbesondere für persönliche Schutzausrüstung, durch die im Krankenhausentlastungsgesetz enthaltene Pauschale von 50 Euro pro aufgenommenen voll-/teilstationären Fall gedeckt. Erschwerend hinzu kommt, dass die Einhaltung der Abstandsregelungen bei der Belegung der Betten aufgrund der baulichen Strukturen, die überwiegend Mehrbettzimmern vorhalten, für eine Vielzahl der Krankenhäuser nur schwer umsetzbar ist, und es somit auch weiterhin zu Kapazitätseingrenzungen kommen wird.

Deutsche Krankenhausgesellschaft äußert Kritik an stufenweisem Öffnungsvorschlag

Kritisiert wird der stufenweise Öffnungsvorschlag des Bundesgesundheitsministeriums von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die diesen für überreguliert hält und entsprechende Nachbesserungen der Länder fordert. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft reicht es, 20 % der Intensivbettenkapazität für Covid-19-Patienten vorzuhalten, was etwa 6 000 Beatmungsbetten entspricht und doppelt so hoch ist wie der Peak der belegten Intensivbetten während der ersten Infektionswelle. Dies zeigt, dass die Anzahl der freizuhaltenden Intensivkapazitäten nur schwer planbar ist und es in Abhängigkeit von der Betroffenheit einzelner Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Region zu starken Schwankungen kommen kann.

Regelbetrieb auch in Monaten nicht möglich, Krankenhäuser drohen erhebliche Defizite

Eine Vielzahl der Krankenhäuser geht davon aus, dass trotz der stufenweisen Öffnung der Betten für planbare Elektiveingriffe auch in Monaten noch kein Regelbetrieb möglich sein wird, da der Verlauf der Corona-Pandemie sowie weitere Infektionswellen nur schwer planbar sind. Realistisch gesehen, könnten die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch weit bis in das Jahr 2021 hineinreichen, sofern bis dato kein geeigneter Impfstoff entwickelt wurde. Vor diesem Hintergrund stellt sich für viele Krankenhäuser die Frage nach geeigneten Finanzierungsinstrumenten zur Überbrückung der kommenden Monate. Fest steht, dass eine Vergütung über DRGs und Pflegesätze dieser Aufgabe nicht gerecht wird. Ob die mit dem Krankenhausentlastungsge setz beschlossenen Maßnahmen des Rettungsschirms ausreichen, um die Defizite der Krankenhäuser zu kompensieren, ist mehr als fraglich.

Aus diesem Grund lässt das Gesundheitsministerium die Wirksamkeit der zunächst bis zum 30. September 2020 beschlossen Maßnahmen des Rettungsschirms bis zum 30. Juni 2020 durch einen Expertenbeirat prüfen. Diesem gehören jeweils vier Vertreter der Krankenhäuser und Krankenkassen sowie zwei Ökonomen an. In Abhängigkeit der Ergebnisse des Expertenbeirats sowie der Verabschiedung des zweiten Pandemie-Gesetzes im Bundestag, besteht die Möglichkeit, dass sich die Fristen und Pauschalen bereits vor dem 30. September 2020 ändern. Wahrscheinlich ist, dass es zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Maßnahmen kommt.

Freihaltepauschale insbesondere für größere Krankenhäuser und Fachkliniken nicht ausreichend

Insbesondere die Freihaltepauschale von 560 € pro Tag und Bett könnte nach dem Willen der Regierungsparteien in Bettengrößenklassen oder anhand anderer Kriterien wie dem Case-Mix- Index weiter ausdifferenziert werden. Bis dato wurde diese auf Basis der Kostennachweise der Krankenhäuser aus dem Jahr 2017, entlastet um variable Sachkosten (im Wesentlichen medizinischer Bedarf) und Pflegepersonalkosten (vermutlich Gedanke der Selbstkostendeckung über das Pflegebudget ab 2020), kalkuliert und um Kostenentwicklungen fortgeschriebenen. Vor allem größere Krankenhäuser der Maximalversorgung mit schwereren Fällen beklagen, dass die Freihaltepauschale für kleinere Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung durchaus auskömmlich sein mag, nicht aber für größere Krankenhäuser, wo sich die aufwendigeren Behandlungen insbesondere im Personalbereich niederschlagen. Gleichermaßen betroffen sind hiervon auch Fachkliniken mit einem hohen Spezialisierungsgrad für aufwendigere Behandlungen.

Krankenhäuser, die in 2019 noch ein positives Ergebnis erwirtschaftet haben, wären unter den gegebenen Umständen sogar froh, wenn sie in diesem Jahr überhaupt eine sichere schwarze Null schrieben. Neben Defiziten in den medizinischen Versorgungsbereichen kommen weitere Verluste in den Nebenbereichen hinzu, die durch die Freihaltepauschale nicht gedeckt werden. Hierzu zählen u. a. Bereiche wie Parkhäuser, Küchen oder Cafeterien, die an die Patienten- und Besucherzahlen gekoppelt sind. Zudem übernehmen die Küchen vieler Krankenhäuser die Speisenversorgung Dritter, wie Kitas oder Schulen, die auch weiterhin komplett oder teilweise geschlossen sind.

Notwendigkeit zur Prüfung krankenhausindividueller Budgetverluste

Um die Angemessenheit der Freihaltepauschale in Bezug auf die vorgehaltenen Leistungen eines Krankenhauses bzw. einzelner Fachabteilungen prüfen zu können, müssen auf DRGEbene die fixen tagesbezogenen Erlöse der abgesagten planbaren Elektiveingriffe ermittelt (Abbildung1) und der Freihaltepauschale gegenüberstellt werden (Abbildung 2). Hierzu sind in einem ersten Schritt die auf dem Landesbasisfallwert basierenden aG-DRG-Erlösanteile mithilfe der InEK-Kal kulationsmatrix zu ermitteln, bevor diese in fixe und variable Erlösanteile untergliedert und durch die mittlere Katalogverweildauer dividiert werden. Dabei wird unterstellt, dass die aG-DRG-Erlöse kostendeckend sind. Für Krankenhäuser, die von der mittleren Katalogverweildauer abweichen, empfiehlt sich zudem eine Kalkulation auf Basis der tatsächlichen mittleren Verweildauer, wodurch sich zugleich auch der tagesbezogene Deckungsbeitrag in Bezug auf die Freihaltepauschale verändert (Abbildung 2). In einem weiteren Schritt können die fixen und variablen aG-DRG-Erlösanteile zudem um krankenhausindividuelle Sachverhalte angepasst werden. Hierzu zählen u. a. variable Kostenanteile der Beköstigungstage für Lebensmittel oder bezogene medizinischen Leistungen, wie zum Beispiel durch externe Labore. Ergänzend zu den aG-DRGErlösanteilen werden in einem letzten Schritt die täglichen Pflegeerlöse kalkuliert. Hierzu wird die tagesbezogene Pflegeerlösbewertungsrelation aus dem Fallpauschalenkatalog mit einem selbstkostenorientierten Pflegeentgeltwert multipliziert. Krankenhäuser, die auf Basis ihrer Ist-Pflegekosten noch keinen selbstkostenorientierten Pflegeentgeltwert in Vorbereitung auf die Pflegebudgetverhandlungen kalkuliert haben, können hier ersatzweise auch den im KHEntgG festgelegten Pflegeentgeltwert von 146,55 Euro ansetzen. In der Betrachtung des Gesamtergebnis gilt es zu beachten, dass in der Modellrechnung zwar eine Kostendeckung der aG-DRG-Erlöse unterstellt wird, bestimmte Kostenarten im realen Behandlungsverlauf allerdings keiner Gleichverteilung anhand der mittleren Verweildauer unterliegen, da diese zeitpunktbezogen anfallen, wie bspw. die OP-Kosten am Tag der OP. Somit kann es bei einer Gegenüberstellung der kalkulierten Erlöse pro Tag mit den realen Kosten pro Tag zu Abweichungen kommen. Dieser komplexe Sachverhalt lässt sich letztlich nur auf Basis einer Kostenträgerrechnung abbilden.

Mithilfe der beschriebenen Systematik wurden beispielhaft die Erlöse der abgesagten planbaren Elektiveingriffe auf Fachabteilungsebene eines Krankenhauses der Maximalversorgung kalkuliert und der Freihaltepauschale gegenübergestellt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Freihaltepauschale, in Abhängigkeit vom Relativgewicht und der mittleren Verweildauer, die notwendigen Deckungsbeiträge (aG-DRG-Erlösanteile zur Deckung der fixen nicht abbaubaren Personal- und Infrastrukturkosten) mehr oder weniger ausgleicht. Werden die ebenfalls nicht abbaubaren Pflegepersonalkosten (Pflege-BWR x Selbstkostenorientierter Pflegeentgeltwert) in die Betrachtung mit einbezogen, zeigt sich bei der Mehrzahl der untersuchen DRG-Fälle ein negativer Deckungsbeitrag in Bezug auf die Freihaltepauschale (Abbildung 3).

Fazit

Das Ergebnis der untersuchten DRG-Fälle in Bezug auf die Freihaltepauschale zeigt, dass diese in Abhängigkeit vom Relativgewicht und der Verweildauer, nicht gleichermaßen auskömmlich zur Deckung der fixen nicht abbaubaren Personal- und Infrastrukturkosten einer Fachabteilung bzw. eines Krankenhauses ist. Es wird deutlich, dass die Herleitung der Freihaltepauschale nicht vollständig sachgerecht ist und die durch das Gesundheitsministerium beauftragte Prüfung durch einen Expertenbeirat dringend notwendig scheint. Abzuwarten bleibt, nach welchen Kriterien die Freihaltepauschale weiter ausdifferenziert wird. Fest steht, dass eine Ausdifferenzierung anhand der Bettenzahl nicht ausreichend ist, da hiermit der Schweregrad bzw. Aufwand der vorgehaltenen Leistungen nicht sachgerecht abgebildet wird. Damit auch kleinere Krankenhäuser mit aufwendigeren Leistungen, wie Fachkliniken, eine sachgerechte Refinanzierung der für Covid-19-Patienten vorgehaltenen Betten erhalten, sollte sich die weitere Ausdifferenzierung der Freihal tepauschale schon eher am Case-Mix-Index eines Krankenhauses orientieren.

Die aktuelle Situation macht deutlich, dass Krankenhäuser zeitnah eine sachgerechte Refinanzierung der für Covid-19-Patienten vorgehaltenen Betten benötigen, andernfalls könnte sich die bereits vor der Corona-Pandemie angespannte wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser weiter verschlechtern, sodass es ohne ausreichende Kapitalreserven zur Zahlungsunfähigkeit kommen kann. Neben einer ausreichend differenzierten Finanzierung der Covid-19-Maßnahmen wird es für Krankenhäuser in den kommenden Monaten mehr denn je darauf ankommen, die zur Verfügung stehenden Kapazitäten möglichst effizient zu nutzen. Hierbei bietet die beschriebene Systematik zur Ermittlung der erlösorientierten Deckungsbeiträge einen hilfreichen Ansatz, um die abgesagten planbaren Elektiveingriffe unter medizinisch ökonomischen Gesichtspunkten mit den verantwortlichen Chefärzten planen und steuern zu können. Des Weiteren wird es darauf ankommen, mithilfe eines effizienten Belegungsmanagements die zur Verfügung stehenden Normal- und Intensivbetten sowie die OP-Kapazitäten optimal zu nutzen und Leerzeiten zu vermeiden.

Quellen

Konzeptpapier der DKG (Stand 27. April 2020) – Vorschlag für eine Balance zwischen COVID-19-Bereitschaft und Regelversorgung

Faktenpapier des Bundesministeriums für Gesundheit (Stand 27. April 2020) – Ein neuer Alltag auch für den Klinikbetrieb in Deutschland

COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz

InEK – aG-DRG-Report-Browser 2020

InEK – Fallpauschalenkatalog 2020

Anschrift der Verfasser

Daniel Schröer, M.A. Management im Gesundheitswesen/ Andreas Kamp, Dipl.-Kaufmann/Pamela Bohne, B.A. Medizinalfachberufe/ Gesundheitsmanagement, Advisory Services/ Gesundheitswirtschaft, BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Im Zollhafen 22, 50678 Köln