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Wenn aus Science-Fiction Realität wird


Ein Patient testet ein von der Charité entwickeltes Brain-Computer-Interface zur Steuerung einer Exoskelett-Hand. Foto: AG Klinische Neurotechnologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

KI, VR, BCIs: In der heutigen Rehabilitation wird zunehmend moderne Technik eingesetzt. Diese digital gestützten Technologien bieten neue Möglichkeiten, Menschen wieder mobil und fit zu machen.
Bei der Digital-Messe DMEA im April in Berlin gab Dr. Lisa Happe, stellvertretende Leiterin des Bereichs Forschung und Innovation der Median Unternehmensgruppe, Einblicke, welche Technologien der Reha-Anbieter nutzt.


Median deckt den gesamten Versorgungspfad ab, von der Akutversorgung, der frühen und klassischen Rehabilitation bis zur Nachsorge und gehört zu den größten Reha-Anbietern in Deutschland. Um den Effekt der Reha weiter zu steigern, bündelt die Median Gruppe in einem „Median-Group-Lab“ Labor Expertenwissen für zukunftsweisende Behandlungsansätze, so Happe. Dabei geht es einerseits um die Entwicklung neuer Technologien, andererseits auch um innovative Methoden und Konzepte zur Verbesserung der Behandlungsqualität. Zudem sollen neue Ansätze erforscht und gefördert werden, um die Wirksamkeit, Effizienz und den Zugang zur Reha zu erhöhen. „Unsere Idee lautet: Messen, Wissen, Handeln“, so Happe.


In den Einrichtungen von Median werden systematisch digital medizinische Ergebnisparameter dokumentiert, sowohl Patientenberichtete (Patient Reported Outcome Measures, PROMs) als auch klinisch-erhobene Outcome-Daten (Clinician Reported Outcome Measures, CROMs). Die Median Gruppe hat ein eigens entwickeltes digitales Fragebogenportal, um die PROMs automatisiert und einfach sammeln zu können. In einem mehrstufigen Prozess sollen dann Erkenntnisse aus Outcome-Daten gewonnen werden. Mit Dashboards können die Ergebnisse und die Entwicklung im Detail jederzeit von den Mitarbeitern analysiert werden.


Therapie-Brille mit Virtual Reality

Aufgrund des Messens und Wissens hat der Reha-Anbieter sieben Innovationsprojekte durchgeführt, von denen viele im Bereich der virtuellen Realität angesiedelt sind.  Virtuelle Realität (VR) bezeichnet eine digital erschaffene dreidimensionale Umgebung, die über eine spezielle VR-Brille angezeigt und erlebbar gemacht wird. Die Brille simuliert eine Umgebung, durch die sich der Nutzer bewegen kann, und passt den gezeigten Bildausschnitt an die Blickperspektiven des Nutzers an. Spezielle Controller für die VR-Brille ermöglichen eine simulierte Interaktion mit Gegenständen in der virtuellen Umgebung.
Virtual Reality-Therapie wird bei Median zum Beispiel bei Sucht- und Angsterkrankungen, Depressionen sowie in der Neurologie eingesetzt.
Die Evidenzlage bei der Virtual Reality-Expositionstherapie sei vielversprechend. So bewirke VR bei der Therapie gegen Phobien und Ängste signifikante Verbesserungen bei der Behandlung. VR helfe Patienten, sich ihren Ängsten effektiver zu stellen. „Jeder fünfte Median-Patient in der Psychosomatik hat eine Angstdiagnose“, sagt Happe. Dieses Expositions- oder Konfrontationstraining mithilfe virtueller Realität sei besonders wertvoll, wenn bestimmte Situationen, in der realen Welt schwer zugänglich oder kaum kontrollierbar seien. Beispiele hierfür sind Flugreisen bei Flugangst, Spinnen bei einer Spinnenphobie oder suchtbezogene Umgebungen wie Partys, Bars oder Kneipen mit Glücksspielautomaten, die das Suchtverlangen verstärken können. Bei Suchterkrankungen zeige die VR-Therapie ebenfalls positive Effekte auf die Reduktion von Suchtverhalten. Bei Alkohol-, Drogen- oder Glücksspielsucht könnten virtuelle Szenarien eine kontrollierte Konfrontation mit typischen Auslösern, die das Verlangen verstärken, geübt werden. Dabei tauchen die Teilnehmenden in realitätsnahe Umgebungen wie Bars oder Glücksspielorte ein, die oft mit dem Konsum oder Verlangen in Verbindung stehen. Diese Exposition in einem risikofreien Rahmen erlaubt es den Patienten, aufkommenden Suchtdruck zu bewältigen und Techniken zur Rückfallvermeidung zu erlernen. Vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Suchterkrankungen würden auch durch die realistischen Szenarien in Gruppentherapien erreicht.

Bis ein Patient eine Expositionstherapie über die VR erhält, durchläuft er zunächst einige Vorbereitungsstufen. Dazu gehören unter anderem ein Aufnahmegespräch sowie ein Vorgespräch mit dem VR-Behandler.

Zudem nutzt Median eine KI-gestützte Tablet-App zur Behandlung von sprachlichen und kognitiven Defiziten. Die Tablet-basierte App verfügt über 35 000 Übungen für die Logopädie und Neuropsychologie. Die kardiorespiratorische Fitness-Bestimmung gelingt innerhalb einer Minute durch ein Gerät, welches den VO₂max-Wert bestimmt. Der Wert entspricht der maximalen Sauerstoffaufnahme des Körpers in Millilitern pro Minute und Kilogramm Körpergewicht. Er ist ein Maß für aerobe Fitness und Ausdauerleistungsfähigkeit. Die Seismokardiographie-Technologie ist mit einem KI-Algorithmus kombiniert.

Neueste neurotechnologische Entwicklungen zeigen künftige Therapiemöglichkeiten, die an Science-Fiction erinnern: Gelähmte Menschen können wieder laufen oder selbstständig essen. „Die Neurotechnologie bezeichnet die Gesamtheit aller Werkzeuge, mit der man die Aktivität des Nervensystems messen und interpretieren kann“, erklärt Prof. Dr. med. Surjo R. Soekadar, Leiter FB Translation und Neurotechnologie, Leiter AG Klinische Neurotechnologie bei der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Eine weitere Säule der Neurotechnologie seien Werkzeuge, mit denen man die Aktivität des Nervensystems gezielt auf künstlichem Weg verändern kann. So ist es beispielsweise möglich, elektrische oder magnetische Felder zu nutzen, um mit dem Nervensystem zu interagieren.

Spezialisiert haben sich Prof. Dr. Surjo Soekadar und sein Team auf die nichtinvasive Hirnstimulation.

Hirnstimulation und Gehirn-Computer-Schnittstellen

Diese Systeme ermöglichen eine Kommunikation zwischen dem Gehirn und externen Geräten, ohne, dass dafür zuvor Elektroden im Gehirn platziert werden müssen. Auf diese Weise können Schwerstgelähmte kraft ihrer Gedanken Exoskelette steuern. Doch die Systeme stoßen an Grenzen, da tiefer im Schädelinneren gelegene Hirnareale nur schwer zu erreichen sind. Eine neue Generation dieser Schnittstellen, ausgestattet mit hochauflösenden Sensoren und einem besonders effektiven Stimulationsverfahren, soll das ändern.

Gehirn-Computer-Schnittstellen, im Englischen Brain-Computer-Interfaces (BCIs) genannt, nutzen die Tatsache, dass das Gehirn elektrische Felder erzeugt. Diese Felder lassen sich auf der Kopfhaut messen. Anschließend übersetzen BCIs die Hirnaktivität in Steuersignale externer Geräte wie Prothesen, Roboter oder Exoskelette. Menschen mit schweren Lähmungen kann dies Bewegungen oder Kommunikation ermöglichen. Soekadar präsentierte Beispiele von gelähmten Patienten, die Dank der Technologie erstmals seit Jahren wieder in einem Restaurant mit Messer und Gabel selbständig essen konnten. Sogenannte bidirektionale BCIs erlauben es darüber hinaus, Hirnaktivität gezielt elektrisch anzuregen, beispielsweise um ein Tastempfinden beim Steuern einer Prothese zu simulieren. Von medizinischem Nutzen sind BCI-Systeme unter anderem im Bereich der neurologischen Rehabilitation, beispielsweise wenn die Kommunikations- oder die Bewegungsfähigkeit schwerstgelähmter Menschen wiederhergestellt werden soll. Nach intensivem Training mit diesen Systemen seien die Geräte bisweilen sogar überflüssig geworden, weil die Patienten ihre gelähmten Extremitäten selbständig wieder bewegen konnten. Die Forscher wiesen nach, dass Hirnaktivität durch die Arbeit mit den Trainingssystemen wieder zugenommen hat. Dass Gelähmte wieder selbstständig gehen können, ist somit nicht mehr fiktional oder biblisch, sondern real und eine Perspektive für die Arbeit in der medizinischen Rehabilitation. Fehlt nur noch der Weg von der Forschung in die Anwendung.

Tanja Kotlorz