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Von Verzweiflung keine Spur


„Überlegt euch, was früher Personen hier durchgemacht haben“, appelliert die Kaufmännische Direktorin des Jüdischen Krankenhauses, Brit Ismer, bisweilen an die Klinikmitarbeiter. Foto: Tanja Kotlorz


Im Jahre 1756 wurde das erste Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Oranienburger Straße gegründet. Das Jüdische Krankenhaus an der Heinz-Galinski-Straße in Wedding ist das dritte Krankenhausgebäude, das die Jüdische Gemeinde in Berlin erbaut hat. Foto: Gilad Ben-Nachum

Mitten im Weddinger Kiez, wo Berlin am berlinischsten ist, zwischen Kebap-Grillbuden, Spätis und den Uferstudios für zeitgenössischen Tanz, ist das Jüdische Krankenhaus Berlin beheimatet. Betritt man das Klinikgelände, steigt einem derzeit zuerst der Duft von blühenden Magnolienbäumen in die Nase. Im Klinikfoyer weist an der Decke dezent ein Davidstern auf den religiösen Geist des Hauses hin. Die Beleuchtung des sechszackigen Sterns ist allerdings dieser Tage tagsüber ausgeschaltet. Aus Gründen der Stromersparnis, erläutert Brit Ismer, seit 23 Jahren Kaufmännische Direktorin des Klinikums. Wie alle Kliniken ist auch das Jüdische Krankenhaus in Berlin sehr gebeutelt: Erst kam Corona, dann sanken die Patientenzahlen und dann noch die vielen Preissteigerungen im Zuge des Ukrainekriegs. Hinzu kommt ein lange geplanter und notwendiger Bettenhausneubau, dessen Kosten gerade – wie bei allen Bauvorhaben - aus dem Ruder laufen. Der Rohbau steht schon, es gibt kein Zurück mehr. Zu allem Überfluss wurde die Klinik auch noch gerade bestreikt, denn das Haus wendet den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) an, und obgleich die Klinikleitung gar nicht bei den Tarifverhandlungen mit am großen Verhandlungstisch sitzt und somit auch keinen Einfluss auf die Gehälter hat, rufen Gewerkschaften bisweilen auch im Jüdischen an der Heinz-Galinski-Straße-1 zum Arbeitskampf auf und Mitarbeiter legen die Arbeit nieder.

Ein streikbedingter Erlösausfall in dieser insgesamt für die Kliniken brenzligen Lage trifft das kleine 384-Betten-Haus in Wedding härter als größere Kliniken. Auch die Patienten sind noch nicht wieder „zurückgekommen“, die Auslastung lag vor der Coronapandemie bei 95 % und sackte auf jetzt 70 % ab, berichtet Ismer. All dies könnte die Finanzmanagerin des Hauses verzweifeln lassen, zumal Ismer Chefin einer solitären Klinik ist und nicht die gleichen Kooperations- und Einkaufsmöglichkeiten hat wie die großen Platzhirsche in der Klinikbranche. Doch von Verzweiflung keine Spur. Das macht neugierig.

„Wir geben der Geschichte einen Platz in der Zukunft“, sagt Ismer. Um das zu verstehen, muss man einen Blick auf die Vergangenheit des Hauses werfen. Die fast 270 Jahre währende Geschichte des Klinikums symbolisiert wie kaum eine andere Einrichtung die Höhen und Tiefen der deutschen Historie. Das Jüdische Krankenhaus ist neben der Charité eines der ältesten und traditionsreichsten Krankenhäuser Berlins. Klangvolle Namen der Wissenschaft und Forschung waren mit dem Jüdischen Krankenhaus verbunden. Der berühmte Prof. James Israel war dort einst Leiter der Chirurgie und eine Kapazität auf dem Gebiet der Nierenchirurgie. Er behandelte den osmanischen Sultan und erfand im Ersten Weltkrieg den Notarztwagen. Prof. Hermann Strauß, einst Chefarzt der Inneren Abteilung, war ebenfalls eine Koryphäe in seinem Fach. Der Erfinder der „Straußschen Kanüle“ forschte auf den Gebieten der Darmerkrankungen und der Diabetologie. Nicht umsonst wurde die Klinik auch „Kleine Charité“ genannt und ist nach wie vor Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité. „Leitliniengerecht“ ging es bereits 1756 zu. Die Klinikchronik verrät: „Der Arzt verschreibt die besten und teuersten Medikamente. Verordnet werden Wein, Hühner und Schokolade.“ Leiter war damals der Arzt und Philosoph Marcus Herz.

Klinik überstand den Naziterror

Erstaunlich ist, dass das Jüdische Krankenhaus als einzige jüdische Einrichtung den Naziterror in Deutschland überstanden hat und nie geschlossen wurde. Das Jüdische Krankenhaus war auch ein Sammellager und Zwischenstation, von wo aus Juden in Konzentrationslager deportiert wurden. Zu den Aufgaben des Klinikums gehörte die Untersuchung der „Transportfähigkeit“ vor der Deportation. Ebenso diente das Krankenhaus als Versteck für Menschen in Todesangst. 800 bis 1 000 Untergetauchte hielten sich auf dem Gelände in Wedding in den letzten Kriegstagen auf. Laut Klinikchronik wurde am 11. Mai 1945 im Jüdischen Krankenhaus wieder ein Kind geboren. Die wenigen Gemeindemitglieder konnten das Krankenhaus finanziell nicht tragen. 1963 wurde das Jüdische Krankenhaus eine „Stiftung des bürgerlichen Rechts“.

„Wenn es in schwierigster Zeit gelungen ist, dem Versorgungsauftrag gerecht zu werden, dann werden wir es heute auch schaffen“, lautet das Credo von Brit Ismer. Da ist er, dieser ganz besondere Spirit des Jüdischen Krankenhauses. Zusammenhalt und unbeugsamer Durchhaltewillen einer Gemeinschaft und der Tribut an die frühere Generation, die Unvorstellbares erleben musste und nicht aufgab. Das impliziert auch eine Verpflichtung, mit dem kostbaren Erbe behutsam umzugehen. („Die Taten der Väter sind den Söhnen ein Wegweiser.“ Talmud Bavli Sota 31)

„Überlegt euch, was früher Personen hier durchgemacht haben, da werden wir ja wohl eine Ölkrise überstehen“, appelliert Brit Ismer in diesen Tagen an ihre 730 Klinikmitarbeiter, wenn mal wieder alles finster aussieht.

„Jeder Politiker wird sich gut überlegen, wie er mit dem Jüdischen Krankenhaus umgeht“, sagt Ismer. Ist die Klinik sakrosankt bei den Berliner Krankenhausplanungen? „Auch das Jüdische Krankenhaus muss Qualität abliefern. Das sind wir unseren Patientinnen und Patienten schuldig“, betont Ismer.

Ein Rabbiner der Jüdischen Gemeinde besucht auf deren Wunsch jüdische Patienten. Auf dem Speiseplan steht unter anderem koscheres Essen. Beschneidungen finden in der Klinik statt. Das Lichterfest wird gemeinsam mit Patienten, Mitarbeitern und Kindern der jüdischen Grundschule und Freunden des Krankenhauses gefeiert. Im Mai 2003 wurde die Synagoge der Klinik, die zwischenzeitlich als Therapiezimmer genutzt worden war, feierlich wiedereröffnet. Die Klinik ist offen für alle Patienten. Besonderer Wachschutz für jüdische Einrichtungen ist für das Jüdische Krankenhaus Berlin nicht erforderlich. Das soll sich nach dem Willen der Klinik auch nicht ändern.

KV-Praxis in der Notaufnahme

Ende 2024 soll der 50 Mio. € plus mindestens 8 Mio. € (durch die allgemeine Preissteigerungsrate) teure Bettenneubau fertig sein. In dem dreigeschossigen Haus K sollen Patienten dann endlich in Ein- und Zweibettzimmern mit eigenem Bad untergebracht sein. Die Klinikleitung hat für den Neubau ein Darlehn aufnehmen müssen, das Land Berlin kam seiner Pflicht der Finanzierung nicht nach. Lange mit der Situation zu hadern, entspricht nicht dem Naturell der Klinikchefin. Statt sich über die mangelnde Investitionsfinanzierung zu beklagen, zeigt sie lieber die Organisation in der Notaufnahme. Schon 2018 hat das Jüdische das umgesetzt, was auf Bundesebene noch diskutiert wird: Eine KV-Notarztpraxis und die Klinik-Notaufnahme arbeiten hier Hand-in-Hand. Freitags bis sonntags ist ein ambulanter Mediziner vor Ort, die Klinikärzte triagieren zuvor die Patienten. So kommen jährlich 5 000 Patienten gar nicht erst in die Klinik, sondern werden in der KV-Ambulanz versorgt. „Bei uns liegen keine Patienten, die nicht stationär aufgenommen werden müssen“, sagt Brit Ismer stolz. Das Jüdische hat die Hausaufgaben gemacht, bevor sie Vorschrift wurden, so scheint es.

Würden die Pläne der Regierungskommission so umgesetzt wie ursprünglich geplant, würde das Jüdische mit seinen acht Kliniken und der Notaufnahme als Level 2 Klinik eingestuft, allerdings ohne Geburtshilfe. Doch bei dem Thema ist ohnehin noch nicht das letzte Wort gesprochen. Im Talmud heißt es: „Solange der Mensch lebt, hat er Hoffnung.“ (Talmud Jeruschalmi Berachot 89) Und davon gibt es im Jüdischen Krankenhaus in Berlin sehr viel.

Tanja Kotlorz