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NRWs Klinikreform: Blaupause für den Bund


Schulterschluss für eine gemeinsame Krankenhausplanung in NRW, von links: Pressesprecher des NRW-Gesundheitsministeriums, Axel Birkenkämper, NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), Ingo Morell, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Intensivmediziner, und Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen und Pflegefachkraft. Foto: Kotlorz

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat ein Scheitern der Klinikreform des Bundes prophezeit, sollten die Änderungswünsche der Landesgesundheitsminister nicht im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) umgesetzt werden. Die für die Krankenhausplanung der Länder zuständigen Landesgesundheitsminister hatten umfassende Nachbesserungen am KHVVG des Bundes eingereicht, die keine Berücksichtigung durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bzw. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fanden. „Wenn er meint, dass er das alles ignorieren kann, was jeder Landesgesundheitsminister in Deutschland sagt – außer dem im Bund –, dann wird er mit seiner Reform scheitern“, sagte Landesminister Laumann voraus bei einer Pressekonferenz am 18. Juli in der Landesvertretung NRW in Berlin an die Adresse von Bundesminister Karl Lauterbach.

Derzeit befindet sich das KHVVG im parlamentarischen Verfahren, am 25. September 2024 werden Experten im Bundestags-Gesundheitsausschuss angehört. Die zweite und dritte Lesung im Bundestag findet voraussichtlich am 18. Oktober 2024 statt. Zudem kündigte Laumann an, dass er bei der Umsetzung des KHVVG „nicht mitmachen kann“, wenn er die Finanzauswirkung des Gesetzes für die rund 330 Kliniken in NRW nicht vorher kennt. Das KHVVG soll die Finanzierungsgrundlage für die Kliniken bundesweit ändern, vorgesehen ist eine Kombination aus Vorhaltepauschalen und diagnosebezogenen Fallpauschalen. „Wenn man ein neues Finanzierungsmodell beschließt, muss man wissen, was heißt das in Euro und Cent für ein Krankenhaus“, sagte Laumann. Für eine solche finanzielle Auswirkungsanalyse seien die sogenannten Grouper notwendig, die der Bund noch schuldig sei. „Es kann doch kein Minister in Deutschland ein Finanzierungssystem für Krankenhäuser beschließen, wenn man nicht weiß, was das bedeutet für die Bezahlung der Krankenhäuser. Die Katze im Sack kaufen geht in dieser Frage nicht“, betonte Laumann.

Planung nach Fallzahlen und Strukturqualität

NRW sei in einer komfortablen Lage, da das mit 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Bundesland als erstes und bisher auch einziges Land seine Krankenhausplanung bereits umgestellt hat. In einem viereinhalb Jahre dauernden Prozess sei die bis dato übliche Planung nach Klinikbetten aufgegeben und stattdessen nach Fallzahlen und Strukturqualitätsmerkmalen geplant worden. „Das ist eine große Herausforderung in einem solch großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen“, sagte Laumann. Das NRW-Gesundheitsministerium habe jeder Klinik Leistungsbereiche vorgeschlagen, indes noch nicht zugewiesen. „Wenn ich den Grouper habe, kann ich für jedes Krankenhaus ausrechnen, was das bedeutet“, sagte Laumann. Allerdings werde er das KHVVG nicht umsetzen, solange er die finanziellen Konsequenzen nicht absehen könne.

Bei der Neustrukturierung der Krankenhausplanung in NRW seien alle, die mit der Krankenhausplanung befasst sind, in die Überlegungen des Ministeriums einbezogen worden, betonte Laumann. Entsprechend waren bei der Präsentation der Krankenhausplanung NRW auch alle Repräsentanten – von der Landeskrankenhausgesellschaft, den Krankenkassen bis zur Ärzte- und Pflegekammer – anwesend.

Ein weiterer Grundsatz der Krankenhausplanung in NRW lautet: „Krankenhäuser müssen für die Bevölkerung erreichbar sein“, sagte Laumann. 90 % der Bürger würden in 20 Minuten ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung erreichen. NRW habe sich auf 64 Leistungsbereiche verständigt. Die Planungsbehörde habe die regionalen Bedarfe im Blick.

Die Grundversorgung von Chirurgie, Innere und Geriatrie werden auf Kreisebene und auf der Ebene von kreisfreien Städten geplant. Auf der Ebene der fünf Regierungsbezirke würden Disziplinen wie die Onkologie oder die Herzinfarkte verteilt.

Die Kliniken konnten in einer digitalen Datei eintragen, welche Fallzahlen sie in jedem Bereich machen und künftig leistenwollen. Im Anschluss an die Abstimmung mit den Kostenträgern hat das Ministerium den Kliniken in einem formellen Akt vorgeschlagen, welche Leistungen sie demnächst anbieten sollten. „Das ist noch kein Feststellungsbescheid“, stellte Laumann klar. Bis zum 11. August könnten sich die Kliniken jetzt dazu positionieren.

Schmerzhafte Einschnitte

Auf die Kliniken in NRW kämen massive Veränderungen zu. Zum Beispiel soll die Interventionelle Kardiologie nur noch engmaschig angeboten werden, ebenso wie die Schlaganfallversorgung. Etwa 20 % der Kliniken, die diese Leistungen gerne anbieten möchten, werden den Zuschlag dafür nicht erhalten, kündigte Laumann an.

Etwa die Hälfte der Kliniken, die die Endoprothetik anbieten wollen, werden diese Leistung ebenfalls nicht bekommen. 235 Kliniken hätten endoprothetische Leistungen beantragt. „Am Ende werden es 126 sein“, sagte Laumann. Bei der Hüftprothetik würden sogar 62 % aller Anträge vom Ministerium abgelehnt. Auch bei den onkologischen Leistungen werde die Planungsbehörde 63 % der Anträge der Kliniken nicht berücksichtigen. Bei Eierstockkrebs würden fast 70 % der Anträge nicht berücksichtigt. „Wir nehmen hier eine sehr starke Strukturierung vor und das ist auch das Ziel dieser Krankenhausplanung“, so Laumann.

Eine solch gewaltige Umstellung des Kliniksystems sei ohne das Vertrauen der unterschiedlichen Akteure untereinander nicht möglich, betonte Laumann: „Für dieses Vertrauen bin ich sehr dankbar.“ Gelungen sei der Kraftakt bisher auch, weil alles „absolut transparent“ sei. Klar adressierte der Landesminister auch an seinen Bundeskollegen Karl Lauterbach: „Krankenhausplanung sollte man in den Ländern machen. Da kann es keine Bundesschablone geben.“ NRW sei jetzt im Endspurt bei der Krankenhausplanung. Bis Weihnachten erhielten alle Krankenhäuser einen Bewilligungsbescheid vom Ministerium über das, was sie machen sollen. Trotz des konsensualen Weges rechnet Laumann fest mit Klagen gegen die Feststellungsbescheide. „Es wäre ungewöhnlich, wenn es nicht so wäre.“

Zustimmung für seine Klinikplanung bekommt Laumann von der Landeskrankenhausgesellschaft. „Das System ist praxistauglich“, sagte Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW). Es gebe für alle Bereiche klare Qualitätsvorgaben, oftmals orientiert an G-BA-Vorgaben. Grundlage der Planungen seien zudem Auswirkungsanalysen. „Wir glauben, dass wir eine Lösung gefunden haben – auch für zukünftig noch schwerere Rahmenbedingungen.“ Die Planungen seien zudem verfassungskonform. „NRW wirkt und ist auch für den Bereich Krankenhausplanung ein guter Ansatz als Blaupause“, so Morell.

Allerdings stünden den Kliniken nun schmerzhafte Einschnitte bevor. Vor Ort würden die Veränderungen jetzt sichtbar. Dürfe ein Haus beispielsweise die Endoprothetik nicht mehr anbieten, verliere es mit einem Schlag 4 bis 5 Mio. € Umsatz. „Die Vorstellungen, die das Land hat, haben erhebliche Konsequenzen für die Kliniken.“ Nicht nur Stationen, auch Klinikstandorte würden jetzt zur Diskussion gestellt. Dem Ziel der Konzentration und Spezialisierung von Leistungen trügen die Krankenhäuser aber Rechnung. Immerhin stelle das Landesgesundheitsministerium für den Transformationsprozess 2,5 Mrd. € zur Verfügung.

Klare Grundsätze und Transparenz

Auch die Krankenkassenseite wertet die neue Krankenhausplanung in NRW als Erfolg. Patienten würden bei aufwändigen, aber planbaren Behandlungen künftig nur noch in spezialisierten Kliniken behandelt. „Ich glaube, das ist ein enormer Fortschritt und er kommt den Patientinnen und Patienten direkt zugute“, sagte Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, für die gesetzlichen Krankenkassen/-verbände in Nordrhein-Westfalen. Zudem sei die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche garantiert. „Die Bevölkerung dort benötigt die Sicherheit, im Notfall rasch und kompetent versorgt zu werden.“ Die Einschnitte in das Leistungsspektrum seien schmerzhaft für die Kliniken, aber diese Konzentrationen seien gut begründet, medizinisch und strukturell nachvollziehbar. „Nicht Konfrontation führt zum Erfolg“, sagte Mohrmann auch an die Adresse des Bundesgesundheitsministers. Am Ende müsse man sich an klaren Grundsätzen orientieren und zusammenarbeiten. Veränderungen in den Klinikstrukturen funktionierten aber nur mit dezidierter Ortskenntnis und Akzeptanz bei der Bevölkerung. Gleichzeitig appellierte Mohrmann an den Bundesgesundheitsminister, die Einführung der fünf zusätzlichen Leistungsgruppen zu überdenken. „Das kann uns in NRW das System zerschießen“, so Mohrmann.

„Wir als Kammern sind stark an der Seite der Krankenhausplanung in NRW“, sagte Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Denn berücksichtigt wurde bei der NRW-Klinikplanung auch die ärztliche Weiterbildung. „Für die Ärzte ist es wichtig, was kann ich wo erreichen.“ Skeptisch schaut Gehle indes auf das KHVVG, da der Bund bei der Vergabe von Leistungsgruppen vor allem auf ICD- und OPS-Codes setze. Das sei nicht ausgewogen. Während in NRW zum Beispiel Mindest- und Auswahlkriterien formuliert wurden, spielten diese auf Bundesebene keine Rolle.

Auf ein „ernstzunehmendes Versorgungsproblem“ wies Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen, hin. „Schon heute fehlen uns in Deutschland bis zu 130 000 Pflegefachpersonen. Diese Zahl werde in den kommenden zehn Jahren auf bis zu 350 000 ansteigen. Das ist ein Aderlass, den wir nur durch eine proaktive Versorgungsplanung abmildern können.“ NRW sei hier das einzige Bundesland, in dem aktuell dazu erste verbindliche Schritte gegangen würden. Auch Postel betonte die Unterstützung der Profession Pflege für die Pläne des Landesgesundheitsministeriums. Erstmals sei mit der Pflege der größte Berufsstand miteingebunden worden in die Klinikplanung.

Tanja Kotlorz