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Neuanfang mit bischöflichem Beistand


Das Marienhospital Osnabrück (MHO) der Niels-Stensen-Kliniken. Foto: Kotlorz

Hier bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Im Franziskus-Hospital auf dem Harderberg (FHH) der niedersächsischen Niels-Stensen-Kliniken werden auf mehreren Etagen Decken aufgerissen, Kabel neu verlegt, Patientenzimmer umgebaut, leerstehende Räume wieder in Betrieb genommen. Die Klinik ist eine Baustelle bei laufendem Patientenbetrieb, aber das Jesuskreuz bleibt an der Wand hängen - bis alles umgebaut ist, so wie es die Medizinstrategie 2028 des katholischen Klinikverbundes vorgibt.

Ende 2023 stand der freigemeinnützige Klinikverbund in der Region Osnabrück-Emsland mit seinen damals sechs somatischen Kliniken und zwei psychosomatischen Einrichtungen vor der Insolvenz. Es galt betriebswirtschaftliche Fragen zu beantworten wie: Können Leistungen konzentriert werden? Wie können Standorte so ausgelastet werden, dass die Unterhaltungskosten reduziert werden? Wie wird eine größtmögliche Effektivität unter den vorhandenen Ressourcen erreicht?

Die daraus erfolgenden Einschnitte sind - chirurgisch betrachtet – längst keine minimal-invasiven Eingriffe mehr, sondern Amputationen. Mehrere Klinikstandorte fallen weg. Ganze Klinikbereiche werden aufgegeben oder verlagert. Und auch Bereiche, die originär den Markenkern eines katholischen Klinikums ausmachen wie die Geburtshilfe und die Gynäkologie werden an einigen Standorten geschlossen. Das ist schon mehr als ein Aderlass für den katholischen Verbund. Hier geht es ans Eingemachte. Und es geht ums Überleben.

Sicherung von Krediten

Weihbischof Johannes Wübbe, seit kurzem Aufsichtsratsvorsitzender der Niels-Stensen-Kliniken, erinnert sich an diese schwarzen Tage rund um den dritten Advent im Jahr 2023, an denen es letztlich auch um die Frage ging: Schickt der Träger ein Unternehmen mit über 7 000 Klinikmitarbeitern vor Heiligabend in die Insolvenz oder gibt es einen Weg raus aus der Krise? Das Bistum entschied sich als ad hoc Maßnahme - mit Genehmigung durch den Vatikan - für die Rettung der Kliniken durch eine Patronatserklärung, was bedeutet, dass das Bistum bürgt. Zeitungen titelten, dass die Kirche über 31 Mio. € in die Rettung des Klinikverbundes steckte. Doch Weihbischof Wübbe stellt klar: „Es sind nach wie vor keine Kirchensteuermittel in die Unterhaltung oder Sicherstellung des Betriebes der Krankenhäuser gesteckt worden.“ Für die Krankenhäuser, die zum Bischöflichen Stuhl gehören, habe das Bistum aber Bürgschaften über die Sicherheit von Krediten übernommen.

Das Bistum wollte präsent bleiben als Krankenhausträger, seiner Verantwortung in Diakonie und Caritas gerecht werden. Trotz aller Schwierigkeiten wollte „das Bistum Gesicht zeigen“, so Wübbe und noch eine „ganzheitliche Betreuung der Menschen abbilden.“ Die katholische Kirche betreibt in der Region Altenheime, bietet Seelsorge an und eben auch Krankenversorgung.

In der Krise wandten sich die Niels-Stensen-Kliniken auch an ihre Landrätin des Landkreises Osnabrück, den Landrat des Landkreises Emsland und an die Oberbürgermeisterin der Stadt Osnabrück und baten um Hilfe. Doch den freigemeinnützigen Häusern erging es wie den meisten anderen Kliniken in nichtöffentlicher Trägerschaft: Sie werden von Städten und Landkreisen nicht in dem Maße unterstützt wie kommunale Einrichtungen. Gibt es ein kommunales Krankenhaus vor Ort, und das ist in Osnabrück mit dem Klinikum in Trägerschaft der Stadt der Fall, dann wird von der Kommune zunächst das eigene Haus im Rahmen der Daseinsvorsorge gestützt. Die Geschäftsführerin der Niels-Stensen-Kliniken, Christina Jaax, beklagt: „Die Rolle der freigemeinnützigen Träger wird in der Politik und in der Gesetzgebung nicht adäquat berücksichtigt.“ Niemand sehe die historischen Leistungen der freigemeinnützigen Kliniken, die Ordensleute, die einst ihre Arbeitskraft und ihr Vermögen in die Versorgung von Kranken steckten. Meist entstanden christliche Kliniken angesichts großer Grippewellen oder Pestepidemien. Heute stehen genau diese Einrichtungen mit dem Rücken zur Wand.

Der Orden der Franziskanerinnen vom Heiligen Märtyrer Georg zu Thuine wurde 1869 gegründet. Dieser Orden, der zusammen mit dem Bischöflichen Stuhl zu Osnabrück den Grundstein für die Niels-Stensen-Kliniken legte, erfahre für das Getane nicht genug Wertschätzung, kritisiert Jaax. So gesehen tragen die freigemeinnützigen Kliniken heute das größere Kreuz im Vergleich zu den kommunalen Häusern.

Ein Rechtsgutachten der Verfassungsrechtlerin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf belegt, dass es sich um eine „erhebliche Wettbewerbsverzerrung“ handelt, wenn Städte und Landkreise in den Steuertopf greifen und ihren Krankenhäusern in kommunaler Trägerschaft die Defizite aus Steuermitteln ausgleichen. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Krankenhäuser aller Trägerformen durch die Krankenhausplanung im gleichen Markt tätig sind und gleichermaßen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen. Sie haben dem Gutachten zufolge Anspruch auf Gleichbehandlung. „Konkret bedeutet das, dass die Kommunen, die sich freiwillig für einen Defizitausgleich bei kommunalen Krankenhäusern entscheiden, diesen Anspruch auch gegenüber den freigemeinnützigen und privaten Krankenhäusern erfüllen müssen. Deshalb stellt die derzeitige Praxis des Defizitausgleichs nur für kommunale Krankenhäuser einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und gegen das europäische Beihilfenrecht dar,“ so Brosius-Gersdorf.

Die großen Einschnitte

Auch die Niels-Stensen-Kliniken im ländlichen Bistum Osnabrück mussten sich selbst helfen. Die Medizinstrategie 2028 beinhaltet den Umbau des Verbundes, zum Teil werden Häuser vom Versorgungsnetz genommen. Die Landrätin des Landkreises Osnabrück, Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) spricht von „großen Einschnitten in der Krankenhausversorgung“.

Die Paracelsus Klinik am Natruper Holz, die die Niels-Stensen-Kliniken vor einigen Jahren übernommen hatte, ist von den Schließungsplänen betroffen. Das Neurozentrum, die Klinik für Neurologie und Neurochirurgie, MVZ für Neurologie, Neurochirurgie und die Radiologie werden ans Marienhospital (MHO) in die Bischofsstraße nach Osnabrück verlegt. Die Transaktion läuft, deshalb wird auch im Marienhospital an vielen Baustellen gleichzeitig gearbeitet. Das MVZ und die Klinik für Orthopädie sowie die Klinik für Multimodale Schmerztherapie werden an das Franziskus-Hospital Harderberg (FHH) verlegt. Der Standort Natruper Holz wird als Zentrum für ambulante Operationen weiterentwickelt. Die Niels-Stensen-Kliniken sind noch Eigentümer des Gebäudes am Natruper Holz, wollen es aber verkaufen.

Ein weiterer großer Einschnitt betrifft das Krankenhaus St. Raphael in Ostercappeln. Zum August 2025 wird die Klinik ebenfalls geschlossen. Der dort sehr profilierte Bereich der Pneumologie und der Thoraxchirurgie wird an das Franziskus-Hospital auf den Harderberg verlagert, wo bereits ein starker onkologischer Schwerpunkt ist. Für den Standort in Ostercappeln bedeutet es das Aus. Tragisch ist, dass es gerade an diesem Standort in Ostercappeln eine sehr hohe Identifikation der Thuiner Ordensschwestern mit dem Klinikstandort gebe.

Als „ganz großen Schlag“, bezeichnet der Bürgermeister der Ortschaft Ostercappeln, Erik Ballmeyer (CDU) die geplante Schließung des 170-Betten-Hauses. Die rund 10 000 Einwohner der Gemeinde seien zunächst in „Ungläubigkeit und Schockstarre“ verfallen, hätten anschließend Demonstrationen und unterstützende Aktionen zum Erhalt des Krankenhauses St. Raphael initiiert. Auch von einem „Bauernopfer“ war die Rede. Thoraxchirurgie, Palliativstation, Innere Medizin und Chirurgie des Krankenhauses St. Raphael hätten einen guten Ruf. Die finanzschwache Gemeinde Ostercappeln schafft es indes nicht, selbst das Haus zu übernehmen. Patienten müssen bald ins 16 Kilometer entfernte Osnabrück oder 25 Kilometer weiter nach Damme fahren. Es sei denn, es findet sich noch ein Investor, der aus der Klinik eine Nachnutzung im Gesundheitswesen entwickelt. Das ist die Hoffnung von Bürgermeister Ballmeyer.

Der Landkreis habe die Prüfung einer Nachnutzung des Krankenhausstandortes in Ostercappeln übernommen und die Moderation des Prozesses organisiert, sagt die Landrätin Anna Kebschull. Ein runder Tisch mit Ärzten und weiteren Akteuren wurde initiiert, um die Bedarfe in der ambulanten medizinischen Versorgung und Pflege zu ermitteln. „Zudem führen wir Gespräche mit potenziellen Interessenten für den Standort, um Ostercappeln als wichtigen Gesundheitsstandort im Osnabrücker und Wittlager Land zu erhalten“, so Kebschull.

„Diese Veränderungen bedeuten vor allem für viele Menschen längere Wege“, sagt die Landrätin. Sie versteht die Sorgen und Ängste der Bevölkerung vor Ort sehr gut, könne aber die geplanten oder bereits umgesetzten Umstrukturierungen vor dem Hintergrund der sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachvollziehen. Insbesondere für die Gemeinde Ostercappeln sei die Entscheidung von Niels-Stensen sehr hart. „Das Krankenhaus dort hat eine hohe Reputation und lange Tradition“, sagt Kebschull. Aus fachlicher Sicht stellt das Niedersächsische Gesundheitsministerium jedoch fest, dass die Krankenhausversorgung im Landkreis Osnabrück weiterhin gewährleistet sei.

„Leider können wir diese kleinen Standorte nicht halten“, sagt Wübbe und nimmt auch die Bundespolitik mit in die Verantwortung. „Irgendwann muss man wirtschaftlich denken“, sagt der Weihbischof. Die Niels-Stensen-Kliniken haben für ihre kleinen Kliniken keine Sicherstellungszuschläge von den Krankenkassen bekommen.

Aus Sicht der Geschäftsführerin Christina Jaax stellt sich die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum auch aus anderen Gründen schon lange als schwierig dar. Der Verbund muss sich mit einer prekären Lage am Fachkräftemarkt auseinandersetzen. Auch deshalb mussten die beiden Geburtshilfen im Christlichen Klinikum Melle (CKM) und im Franziskus-Hospital Harderberg (FHH) und die Gynäkologie im Christlichen Klinikum in Melle (CKM) geschlossen werden. An beiden Standorten sei man personell nicht gut aufgestellt gewesen, vor allem im ärztlichen Dienst. Chef- und Oberarztstellen mussten über Honorarkräfte besetzt werden, also über Fremddienstleister. Die schlechte personelle Situation sei einer der „Treiber für die Konzentration“ der Standorte gewesen, so Jaax. Die Schließung der beiden Geburtshilfen sei allerdings „ein ganz, ganz emotionales Thema“ gewesen, so Jaax. Die Reaktionen in der Belegschaft reichten von „Enttäuschung, Trauer bis zu Wut.“ 

Ein weiteres Opfer der Schließungspläne ist das Elisabeth-Krankenhaus in Thuine, das letztes Jahr Insolvenz anmelden musste und nicht erfolgreich saniert werden konnte.

Wie wird gewährleistet, dass ländliche Regionen nicht noch mehr abgehängt werden? sorgt sich derweil Weihbischof Wübbe. Auch die Nachsorge von Alleinlebenden sei nicht mehr überall gewährleistet.

Im Sinne der Klinikreform der Bundesregierung (KHVVG) haben die Niels-Stensen-Kliniken ihre Hausaufgaben nun schon erledigt mit den Maßnahmen Konzentration und Schließung. Ab dem 1. April bis Ende Juli können die Kliniken in Niedersachsen ihre Leistungsgruppen bei der Landesregierung beantragen. Abstimmungen mit dem Klinikum Osnabrück, wer welche Leistungen anbieten will, laufen bereits. Nicht nur in der Stadt, sondern auch im Landkreis soll eine vernünftige medizinische Versorgungsstruktur abgebildet werden. Geschäftsführerin Jaax, wünscht sich, dass nach allen Reformen und Klinikkonzentrationen der Fokus des eigentlichen Auftrags – die Versorgung der Patienten – nicht zu kurz kommt.

Tanja Kotlorz