Der Bundestag hat das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verabschiedet. Nach einer hitzigen Debatte mit gegenseitigen Vorwürfen von Regierung und Opposition wurde die umstrittene Krankenhausreform am 17. Oktober 2024 mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossen. Damit hat die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach zwei Jahren intensiver Diskussionen eine wichtige Hürde genommen. In der Schlussberatung sprachen Redner der Opposition von einer unzureichenden Reform mit großen Risiken und ungeklärten Fragen.
Die Bundesländer, auch SPD-geführte, und die Kliniken hatten den Gesetzentwurf, der die Einführung von Leistungsgruppen und Vorhaltepauschalen vorsieht, massiv kritisiert. Eine gemeinsame Stellungnahme aller 16 Länder zum Referentenentwurf wurde kaum berücksichtigt, nur wenige Punkte wurden im parlamentarischen Verfahren aufgegriffen.
An den wesentlichen Kritikpunkten habe sich in den vergangenen Monaten und Jahren praktisch nichts getan, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft am 16. Oktober in einer Erklärung zum Bundestagsbeschluss. Die Änderungsvorschläge der Länder kaum Aufnahme in den Gesetzentwurf gefunden. Eine Woche vor der finalen Abstimmung seien noch über 100 Seiten an kleinteiligen Änderungsanträgen mit zum Teil bisher völlig unbekannten Sachverhalten nachgeschoben worden.
Der Gesundheitsausschuss hatte am 16. Oktober 50 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zum Regierungsentwurf angenommen, die sich vielfach mit der technischen Umsetzung der Reform befassen. Bei den Änderungen geht es unter anderem um eine künftige ärztliche Personalbemessung im Krankenhaus, die Einbindung von Bundeswehrkrankenhäusern in die Versorgung, Qualitätsanforderungen für hebammengeleitete Kreißsäle in Krankenhäusern, die Streichung der Stichprobenprüfung und Entbürokratisierung der Einzelfallprüfung bei der Krankenhausabrechnung, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Transformationsfonds einschließlich einer Beteiligung der Privaten Krankenversicherung und die geplante Evaluation des Gesetzes.
Wenig begeistert äußerte sich der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der von einem der wichtigsten Gesundheitsgesetze seit Jahren sprach. Er verwies auf das Planungsrecht der Länder und entsprechende Vorarbeiten in seinem Land. Laumann sagte, die Länder hätten sich bemüht, eine gemeinsame Lösung zu finden. Voraussetzung sei jedoch ein zustimmungspflichtiges Gesetz gewesen. Von diesem Weg sei die Ampel-Koalition dann abgewichen, das sei Wortbruch. Laumann kritisierte, ohne die Auswirkungsanalyse sei gar nicht klar, was das Gesetz eigentlich bewirke. Er wolle die Reform nicht stoppen, sagte er mit Blick auf die Entscheidung im Bundesrat, aber eine Überarbeitung sei nötig. Landesplanung und Finanzierung müssten zusammenpassen. Es gehe nicht darum, etwas für den Bund zu tun oder für die Ländern, sondern für die Patienten.
Einwände der Länder kaum berücksichtigt
Die Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten seien mit der beschlossenen Reform „nicht im ausreichenden Maß möglich“, kritisiert Kerstin von der Decken (CDU), die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein. Die wesentlichen, fachlich begründeten Forderungen der Länder seien nicht berücksichtigt worden. Dazu gehörten eine auskömmliche Übergangsfinanzierung bis die Reform greift, Bürokratieabbau anstatt Bürokratieaufbau, die Wahrung der Planungshoheit der Länder, eine Finanzierung, die auch die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche verlässlich sichert sowie eine rechtzeitig vorgelegte Auswirkungsanalyse, die der Bundesminister mehrfach zugesagt, aber nicht geliefert habe. „Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, handelt verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten und den Beschäftigten der Kliniken“, so die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein weiter: „Ich werde mich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat einsetzen, um notwendige Verbesserungen am Gesetz zu erzielen."
Tino Sorge (CDU/CSU) gestand zu, dass eine Struktur- und Finanzreform im Krankenhaussektor sinnvoll sei, allerdings sei die Herangehensweise „eine Farce“. Er hielt Lauterbach vor, sich weder mit den Kliniken noch mit den Ländern ausreichend abgestimmt zu haben, die für die Krankenhausplanung zuständig sind. Er erinnerte daran, dass der Gesetzentwurf ursprünglich im Bundesrat zustimmungspflichtig sein sollte. Sorge rügte auch, dass die versprochene Auswirkungsanalyse nicht vorliege. Es sei eine Frechheit, dass diese Analyse offenbar insbesondere der Opposition vorenthalten werde. Sorge mutmaßte, die jetzt geplante Reform werde nicht funktionieren. Gefährdet sei vor allem die Versorgung im ländlichen Raum. Zudem drehe sich in den Krankenhäusern das berüchtigte Hamsterrad weiter. Für die Unionsfraktion forderte er eine Übergangsfinanzierung, um ein unkontrolliertes Krankenhaussterben zu verhindern.
Die Abgeordneten hätten „im Blindflug“ über eine Reform abgestimmt, die die Krankenhauslandschaft massiv umstrukturieren wird. Damit spielte der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß auf die von Ländern und Krankenhäusern vor allem kritisierten Fehlen einer Auswirkungsanalyse zur Reform an. „Kein Abgeordneter kann die Folgen dieser Reform insgesamt und für die Patientenversorgung im eigenen Wahlkreis abschätzen. Eine mögliche Auswirkungsanalyse wurde bis zuletzt bewusst zurückgehalten. Jeder Abgeordnete, der in dieser Situation der Reform zustimmt, muss sich daran messen lassen, ob die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger in drei, vier oder fünf Jahren noch gewährleistet ist“, heißt es in der Erklärung am Tag der Abstimmung.
Auch die Finanzierungsreform verfehle das Ziel, die wirtschaftliche Situation zu stabilisieren: „Es gibt keine Stärkung und Existenzsicherung für ländliche Krankenhäuser“, so Gaß weiter. Vor mehr als 18 Monaten hatte die DKG die Auswirkungen der Reformpläne Lauterbachs wissenschaftlich analysieren lassen und die weitergehend negativen Ergebnisse veröffentlicht.
Gerald Gaß sieht in dem Gesetzentwurf und seine Genese gar ein „Zeichen für die Missachtung von parlamentarischen Gepflogenheiten und Verfahren“, etwa im Umgang mit dem Gesundheitsausschuss. Seine Mitglieder hätten, so wurde immer wieder kolportiert, von Änderungsanträgen zuweilen über Pressekonferenzen erfahren, sie aber nicht als Drucksache erhalten, um darüber zu beraten.
„Dieser Gesetzentwurf steht für eine fortgesetzte kalte Marktbereinigung mit wegbrechenden Krankenhausstandorten, den Einstieg in die Rationierung und Wartelistenmedizin, einen gigantischen Bürokratieaufwuchs und planwirtschaftliche Strukturen mit maximaler Zentralisierung. Das ist keine Krankenhausreform im Interesse der Patienten und der Bürgerinnen und Bürger in vielen Regionen des Landes“, so der DKG-Chef.
Das nun vorliegende Gesetz trage eine deutliche niedersächsische Handschrift, so der niedersächsische Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi. Niedersachsen habe sich stark in die Entwicklung dieses Gesetzes einbringen können. Nun werde intensiv geprüft, wie praxistauglich das Gesetz wirklich ist. „Von dem Ergebnis ist auch abhängig, wie sich Niedersachsen am 22. November im Bundesrat verhalten wird“, so Philippi.
Vermittlungsausschuss oder Karlsruhe?
Das Gesetz unterliegt zwar nicht der Zustimmungspflicht der Bundesländer. Unabhängig davon kann der Bundesrat in seiner Sitzung am 22. November dieses Gesetz ablehnen und in den Vermittlungsausschuss überweisen, wenn es keine aus Sicht der Länder akzeptablen Kompromissangebote des Bundes gibt. Wird das KHVVG im Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgelehnt, kann das Ländervotum dann nicht vom Bundestag mit einfacher Mehrheit überstimmt werden. Das Gesetz wäre gescheitert.
Doch selbst wenn es Lauterbach gelingt, einige Landesregierungen von seiner Reform zu überzeugen und einen Vermittlungsausschuss abzuwenden, ist die Reform noch nicht durch. Sie wird flankiert von mehreren Verordnungen, denen der Bundesrat zustimmen muss. Diese betreffen etwa Qualitätsvorgaben, die die Krankenhäuser in 65 verschiedenen Leistungsgruppen einhalten müssen. Der Bund plant Mindestvorhaltezahlen und will festlegen, wie viele Fälle Kliniken in den verschiedenen Leistungsgruppen mindestens behandeln sollen.
Die gesetzlichen Krankenkassen indes kritisieren, dass aus den Beiträgen der Versicherten 25 Mrd. € in den Transformationsfonds gehen sollen, mit dem der Umbau der Krankenhauslandschaft finanziert werden soll. Die Kassen halten dies verfassungswidrig. Auch Bayern erwägt ebenfalls den Gang nach Karlsruhe. Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hält eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht für „durchaus Erfolg versprechend“.
Katrin Rüter
Foto: Deutscher Bundestag, Werner Schüring