Tag für Tag ist ist das ärztliche Personal mit bürokratischen Aufgaben beschäftigt. Eine Pflegekraft bringt 2,7 Stunden täglich damit zu, Nachweis- und Dokumentationspflichten nachzukommen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Blitzumfrage des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) zur Bürokratiebelastung in den Krankenhäusern.
Eine Stunde Bürokratie erspart – 60 000 Vollzeitkräfte gewonnen
Umgerechnet auf Vollzeitkräfte (VK) sind das nahezu 60 000 Ärzte (59 480 VK, 36 % von gut 165 200 ärztlichen VK bundesweit) und fast doppelt so viele Vollzeitkräfte im pflegerischen Dienst (116 608 VK, 34 % von 343 000 VK im Pflegedienst der Allgemeinkrankenhäuser).
„Die Zahlen sind erschütternd. Diese Fachkräfte stehen in der Zeit, in der sie die ausufernden Bürokratiepflichten erfüllen müssen, nicht der Patientenversorgung zu Verfügung“, erklärte Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), im Rahmen einer Pressekonferenz der am 7. August in Berlin. Die Dokumentation habe sich über viele Jahre von einer notwendigen Nebentätigkeit zu einer extremen Last entwickelt. Das Problem von medizinisch und pflegerisch viel zu oft nicht notwendiger Schreibarbeit sei völlig außer Kontrolle geraten. „Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in Pflege und Medizin können wir uns diese Verschwendung wertvollster und hochqualifizierter Arbeitskraft nicht mehr leisten“, so Gaß.
„Wir alle beklagen den Fachkräftemangel, suchen Ärzte und Pflegekräfte. Hier finden wir sie: die Entbürokratisierung würde Abhilfe schaffen“, sagte Dr. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin.
Der Bundesgesundheitsminister hatte Entbürokratisierung als ein wesentliches Ziel der großen Krankenhausreform benannt, erinnerte Bobbert. Die von Karl Lauterbach angekündigte Entbürokratisierung finde aber de facto nicht statt. „Der Minister muss Wort halten und das Problem konsequent angehen“, forderte der Berliner Ärztekammerpräsident.
Konkrete und wirksame Maßnahmen zur Entbürokratisierung forderte auch Prof. Dr. Henriette Neumeyer, Vize-Vorstandsvorsitzende der DKG. Eine Stunde weniger Bürokratie pro Tag käme 21 600 VK im ärztlichen Dienst und 47 000 VK im Pflegedienst gleich – für die Arbeit am Patienten. „Entbürokratisierung wirkt sich direkt positiv auf die Patientenversorgung aus“, ist sich Prof. Neumeyer, die bei der DKG für den Geschäftsbereich Krankenhauspersonal und Politik verantwortlich zeichnet, sicher. Dies bedeute nicht nur effizienteren Personaleinsatz, sondern vor allem mehr Zeit für die Patientenversorgung und höhere Arbeitszufriedenheit der Health Professionals.
Prof. Henriette Neumeyer beschreibt den Leidensdruck der Kliniken anhand konkreter Beispiele: „Bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes überschneiden sich immer wieder Strukturprüfung und Qualitätskontrolle. Allein bei der Strukturprüfung umfasst die Richtlinie der Prüfversion des medizinischen Dienstes 497 Seiten, der Begutachtungsleitfaden zu der Richtlinie noch einmal 90 Seiten. Solche Prüfungen müssen vereinfacht und ihre Gültigkeit verlängert werden.“ Ein anderes klassisches Beispiel seien die Verfahren zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) - und dass von allen Häusern einzeln. „Jahr für Jahr müssen immer wieder die gleichen Anträge gestellt werden. Diese immer wiederkehrenden völlig überflüssigen Antragspflichten müssen abgeschafft und die Anträge vereinfacht werden,“ so Neumeyer.
DKG-Vorschläge zur Entbürokratisierung
Kernfrage bei allen Nachweis- und Dokumentationspflichten müsse sein: Hat es positive Effekte für die Patientenversorgung? „Das ist oft nicht der Fall“, so Gaß. Im Gegenteil: „Die überbordende Bürokratie schädigt die Patientenversorgung“, so der DKG-Vorstandsvorsitzende. Die Not der Kliniken angesichts der großen Bürokratielasten sei erdrückend, der Handlungsdruck groß. Deshalb hat die DKG jetzt 55 konkrete Vorschläge zur Entbürokratisierung vorgelegt.
Die Kernanliegen des Positionspapiers „Weniger Bürokratie – mehr Ressourcen für Patientinnen und Patienten“ (es steht auf der Website der DKG www.dkgev.de zum Download bereit) sind eine grundlegende Reduzierung der Nachweispflichten, eine Stärkung der Bürokratiefolgenabschätzung, die Trennung von Normgebung und Normdurchsetzung sowie das Mitdenken von Digitalisierungsprozessen.
Auch Andrea Bergsträßer, Vizepräsidentin der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, forderte eine konsequente Entbürokratisierung im Krankenhaus: Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter Mitgliedern der Pflegekammer zufolge gaben 73 % der Befragten an, hoher Verwaltungsaufwand belaste die besonders bei der Arbeit. Sogar 90 % sahen eine deutliche Zunahme des Dokumentationsaufwands in den vergangenen zehn Jahren. 82 % gaben an, dass ihnen Zeit für die Patientenversorgung fehle aufgrund der Tätigkeiten zur Dokumentation fehle. Dass deshalb auch ihre persönliche Motivation am Arbeitsplatz leide, sagten 72 % aller Befragten. Dass sie aus dem Pflegeberuf aussteigen könnten, bestätigten 39 %.
Zu den externen regulatorischen Anforderungen wie etwa der Dokumentation der Patientenklassifikationen für die korrekte Leistungserfassung – etwa Personaluntergrenzen (PpUGV) und Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) können erhebliche interne Anforderungen hinzu, etwa die Überwachung der Temperatur der Kühlschränke, der Hygienevorschriften und Putzpläne sowie der Kontrolle von Geräten und Medizinprodukten.
Als Impulse zum Bürokratie-Abbau wünschten sich die von Allensbach Befragten eine klare Delegation von nicht-pflegerischen Dokumentationen, zielführende und einheitliche Dokumentation, um Doppeldokumentation zu vermeiden und eine ausreichende EDV-Ausstattung. Vor allem aber wünschten sie die Kammermitglieder einen Abbau der Misstrauenskultur gegenüber den Fachpersonal, die auch in ständigen Nachweispflichten Ausdruck finde. Als Ausdruck des Misstrauens gegenüber Pflegekräften wertet auch Denny Götze, pflegerischer Bereichsleiter für Anästhesie und Intensivmedizin im Evangelischen Waldkrankenhaus, die kleinteiligen Vorgaben: „Die Mitarbeiter belastet dies nicht nur, es frustriert und demotiviert auch in hohem Maße.“ Der Gesetzgeber müsse die Vorgaben auch auf negative Folgen für die Klinik-Beschäftigten überprüfen. Als Beispiel nannte Götze die Richtlinie zur minimalinvasiven Herzklappeninterventionen, die fordert, dass in jeder Schicht mindestens eine Pflegekraft mit Fachweiterbildung in Intensivpflege/Anästhesie eingesetzt ist. Unter dem ohnehin bestehenden Fachkräftemangel belastet das die Kolleginnen und Kollegen noch einmal zusätzlich und schränke sie, etwa bei der Dienst- und Urlaubsplanung, spürbar ein. In der Folge sinke die Bereitschaft, sich überhaupt in diese Fachrichtung weiterbilden zu lassen, oder die Kolleginnen und Kollegen wandern in die Zeitarbeit ab. Hier und in vielen anderen Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf“, warnt Denny Götze.
Den Krankenhäusern steht aber neben den schon bestehenden Bürokratielasten neues Ungemach ins Haus. Die geplante Krankenhausreform werde noch mehr Bürokratie schaffen, fürchtet Gerald Gaß. Bundesgesundheitsminister Lauterbach gehe das Problem nicht an, sondern schaffe noch mehr Bürokratie mit neuen Dokumentationspflichten im künftigen System der Leistungsgruppen.
Der Minister hat die minutengenaue Dokumentation und Zuordnung von ärztlichen Leistungen zu jeder Leistungsgruppe beschlossen. „Das bedeutet, dass jeder Arzt und jede Ärztin zukünftig genau angeben müssen, wie viel Zeit pro Tag welcher Leistungsgruppe zugeordnet ist. Da aber Leistungsgruppe nicht gleich Abteilung ist, kann alleine schon bei einer Visite in einem Zimmer mit drei Patienten die aufgewendete Zeit verschiedenen Leistungsgruppen zugeordnet werden. Diesen Wahnsinn muss man umgehend stoppen. Eine derartige Dokumentationspflicht trägt nichts zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung bei, sie bedeutet zusätzliche Bürokratie und frustriert die Ärztinnen und Ärzte. Flächendeckend protestieren die betroffenen Medizinerinnen und Mediziner bereits gegen diesen unsinnigen Mehraufwand. Mit diesen neuen Dokumentationspflichten verschärft Minister Lauterbach die Bürokratie, ganz entgegen seinen Ankündigungen“, so Gaß.
Katrin Rüter
DKI-Blitzumfrage zur Bürokratiebelastung in den Krankenhäusern
Ärzte und Pflegekräfte in den deutschen Krankenhäusern sind fast drei Stunden täglich mit Dokumentationen und Nachweisen beschäftigt (Abbildung 1 und 2). Rein rechnerisch sind rund 116 600 von knapp 343 000 Vollkräften (34 %) im Pflegedienst von Allgemeinkrankenhäusern ausschließlich mit Dokumentationstätigkeiten befasst und für die patientennahen Pflegetätigkeiten nicht mehr verfügbar. Bei den Ärzten sind kalkulatorisch rund 59 500 von gut 165 200 ärztlichen Vollkräften bundesweit (36 %) ausschließlich für Dokumentationsaufgaben und Nachweispflichten zuständig.
Das ist das Ergebnis einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zur aktuellen Bürokratiebelastung in den Krankenhäusern. An der Repräsentativbefragung von Ende Juli 2024 beteiligten sich bundesweit 98 Psychiatrien und 225 Allgemeinkrankenhäuser ab 50 Betten.
Der hohe Bürokratieaufwand hat für die Krankenhäuser potenziell abträgliche Folgen für die Fachkräftesicherung. Jedes zweite Allgemeinkrankenhaus geht davon aus, dass Fachkräfte deswegen den Beruf wechseln werden. Etwa jedes dritte Allgemeinkrankenhaus befürchtet überdies, dass sich weniger Fachkräfte bewerben werden. In den Psychiatrien fallen die Ergebnisse in der Tendenz ähnlich aus.
Durch eine Reduktion von Dokumentationsaufgaben und Nachweispflichten würde – ohne weiteren Stellenausbau – die verfügbare Zeit für die unmittelbare Patientenversorgung etwa am Bett oder in den Funktionsbereichen deutlich zunehmen. Würde man beispielsweise den Dokumentationsaufwand im Allgemeinkrankenhaus um durchschnittlich eine Stunde pro Tag und Vollkraft reduzieren, stünden rein rechnerisch rund 20 650 Ärzte und rund 42 870 Pflegekräfte für patientennahe Tätigkeiten in Behandlung und Pflege zusätzlich zur Verfügung.
In erster Linie ist die zunehmende Bürokratisierung im Krankenhaus Folge externer Dokumentationsanforderungen und Nachweispflichten von Politik, Selbstverwaltung, Kostenträgern und Medizinischem Dienst. Durch einen gezielten und nachhaltigen Bürokratieabbau können die genannten Akteure das Krankenhauspersonal entlasten und damit die Patientenversorgung verbessern.
Die gesamten Ergebnisse finden Sie hier.