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Interviews und Meinungen

„Der Klimawandel duldet keinen Aufschub!“


Interview Sascha Klein, Vizepräsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW)

Die Krankenhäuser klagen seit vielen Jahren über erhebliche Defizite bei der Investitionsfinanzierung. Nun fordern Sie ein milliardenschweres Paket für einen „Klimaschutz-Boost“ für die Krankenhäuser in NRW. Auch angesichts sich überschlagender Krisen: ist das der richtige Zeitpunkt?

Es ist genau der richtige Zeitpunkt, denn der Klimawandel duldet keinen Aufschub mehr. Wir müssen jetzt handeln. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Jahr, das zu einer Novellierung des Klimaschutzgesetzes führte, zeigt uns, welche Dringlichkeit und welchen Stellenwert der Klimaschutz hat. Wir haben jetzt mit den beiden vorgelegten Gutachten eine solide Basis geschaffen. Beide Papiere dokumentieren, wo wir stehen in Sachen Klimaschutz und was nun notwendig wird. Uns ist bewusst, dass das vorgestellte Maßnahmenpaket als Summe eine schwierige Größe für den Landeshaushalt ist. Allerdings stellt der Klimawandel enorme Anforderungen an uns alle.

Die Summe von 7,7 Mrd. € für Investitionen, die das Institute for Health Care Business hcb mit dem Projektteam von Prof. Dr. Boris Augurzky und Dr. Sven Lueke in seinem Gutachten errechnet hat, damit die Krankenhäuser in NRW klimaneutral werden, wirkt auf den ersten Blick hoch. Aber sie wird nachvollziehbar, wenn wir uns die Kliniken in NRW in ihrem baulichen Zustand und im Hinblick auf Energieeffizienz anschauen. Wenn wir die CO2-Emissionen wirklich deutlich absenken wollen, dann müssen wir erhebliche Investitionen aufbringen.

Natürlich sind die Rahmenbedingungen für die Investitionsfinanzierung zurzeit schwierig. Aber mit den beiden Gutachten, die im Auftrag der KGNW erstellt wurden, haben wir endlich Zahlen und Fakten vorliegen. Der Anteil des Gesundheitswesens an den CO2-Emmissionen insgesamt liegt bei 5,2%. Das ist sehr hoch, und die Kliniken spielen dabei eine große Rolle. Trotzdem lag das Augenmerk in der öffentlichen Diskussion über die Klimaziele immer auf anderen Branchen. Beispielsweise wird die Stahlindustrie mit ihrem Anteil von 6 % am CO2-Ausstoß sorgenvoll betrachtet, vor allem in NRW. Zurecht wird da Handlungsbedarf gesehen und eingefordert. Wir sind mit der Gesundheitsbranche jedoch nicht weit davon entfernt: Auch bei den Kliniken muss deshalb etwas geschehen. Aber gerade angesichts der Probleme in der Finanzierung der Krankenhäuser ist klar, dass wir das nicht allein stemmen können.

Die beiden Gutachten – neben dem hcb-Gutachten das Gutachten des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie (siehe den Beitrag Seite XXX, Anm. der Red.) – haben die notwendigen technischen und wirtschaftlichen Maßnahmen dargelegt. Das sind wegweisende Argumentationspapiere für die Krankenhausleitungen, zugleich eine gute Grundlage für die Diskussion in der Politik.

Wie groß ist die Chance, dass ein so ambitioniertes Konzept tatsächlich finanziert wird? Die errechneten 7,7 Mrd. € bezahlt NRW nicht aus der Portokasse.

Eine Ende März vorstellte Studie im Auftrag von NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart geht von einem Investitionsbedarf von 50 Mrd. € jährlich aus, also 350 Mrd.€ auf sieben Jahre, damit die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen die Klimaschutzziele der Bundesregierung bis 2030 schafft. Das rückt die für die Kliniken berechneten Investitionen von 7,7 Mrd. € für sieben Jahre in eine etwas andere Relation.

Allen Politikern muss klar sein, dass die Frage der Klimaneutralität nicht verhandelbar ist. Die Gutachten zeigen, was zu tun ist. Wir sind bereit dazu und müssen uns auf den Weg machen. Es wird darüber sicher noch einige Diskussionen mit den Parlamentariern und den zuständigen Ministerien geben. Wir wollen und müssen aber als Krankenhäuser unseren Beitrag leisten. Der Ball liegt jetzt auf Seiten der Politik.

Ist das Anliegen bei der Politik angekommen? Demnächst wird in NRW gewählt.

Wir haben die beiden Gutachten der Presse vorgestellt, damit die nächste Landesregierung weiß, worum es geht. Schon beim Krankenhausgipfel am 3. März haben die Spitzenvertreter der vier möglichen Koalitionsparteien eingeräumt, dass das Land der Verantwortung für die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser nur unzureichend nachkommt. Nur ein Drittel dessen, was benötigt würde, um die Substanz der Krankenhäuser in NRW zu erhalten, wird im Landeshaushalt zur Verfügung gestellt. Wie sollen die Krankenhäuser da in Klimaschutz investieren können? Die Förderkriterien müssen deshalb angepasst werden, damit auch Maßnahmen, die dem Klimaschutz dienen, abgedeckt werden.

In der letzten Plenarwoche des Landtages vor der Landtagswahl haben die Grünen in einer Debatte über das Krankenhausgestaltungsgesetz in NRW gefordert, das Thema Klimaneutralität mit der Krankenhausplanung zu verknüpfen. Das Thema wird also in die kommende Legislatur mitgenommen, das ist schon eine gute Botschaft.

Wie weit ist NRW gegenwärtig in Sachen Klimaschutz?

Die Kliniken in Nordrhein-Westfalen sind unterschiedlich weit, was ihre Maßnahmen zum Klimaschutz und für mehr Nachhaltigkeit betrifft. Viele haben schon ihre Energieversorgung umgestellt, viele fördern beispielsweise CO2-sparende Elemente der Mitarbeitermobilität.

Die Häuser in NRW fangen nicht alle bei Null an mit dem Klimaschutz. Aber auch die finanzielle Situation der Häuser ist sehr unterschiedlich. Es sind noch viele Investitionen notwendig, vor allem für die energetische Sanierung von Fassaden, Fenstern und Dächern, über die die Krankenhäuser die meiste Energie verlieren. Und jedes Krankenhaus muss sich individuell auf Grundlage der Gutachten Gedanken über den eigenen Weg machen.

Die KGNW hat mit dem Auftrag für die beiden Gutachten Pionierarbeit geleistet und Position bezogen. Das Ergebnis kann eine Blaupause sein für Krankenhäuser überall in Deutschland.

Das Gutachten des Teams von Prof. Augurzky legt auch eine gewisse Reihenfolge bei der Mittelvergabe vor: Demnach sollen zuerst Förderanträge von Kliniken mit der besten „Kosten-Nutzen-Relation“ bevorzugt behandelt werden mit ihren Anträgen. Bedeutet das: große Kliniken zuerst?

Die zehn vom Wuppertal Institut vorgeschlagenen Maßnahmen sind in kleinen wie in großen Häusern sinnvoll. Es geht auch nicht um die Größe der Häuser, sondern um die Größe und die Wirkung der Maßnahme. Das wird bei einem größeren Haus natürlich immer ein größeres Volumen darstellen. Die Reihenfolge muss vor allem geeignet sein, die ambitionierten Ziele zu erreichen, die die Bundesregierung bis 2030 festgelegt hat. Deshalb müssen große Projekte, die länger dauern in der Umsetzung, auch frühzeitig begonnen werden, weil wir dann am schnellsten einen Effekt auf das Klima haben werden. Hinzu kommt, dass nicht alle Häuser gleichzeitig mit Baumaßnahmen beginnen können, dafür gibt es einfach nicht genügend Handwerker.

Wie sollte die Finanzierung aussehen?

Im Gutachten des hcb wird die Finanzierung über einen Klimafonds vorgeschlagen. Dieser würde über die Länder gefüllt, wobei sicherlich auch der Bund mit in die Verantwortung genommen werden müsste. Daraus könnten über einen Zeitraum von sieben Jahren die Krankenhäuser nach gewissen Schlüsseln – die Details sind noch nicht skizziert - ihre Maßnahmen finanzieren.

Natürlich muss nachgewiesen werden, dass die Mittel auch dem Zweck entsprechend verwendet werden. Auch die essenziell wichtigen Stellen für Klimaschutzmanager mit entsprechenden Qualifikationen verursachen Kosten, die aktuell nicht förderfähig sind, weil es keine Investitionen sind. Dafür soll ebenfalls aus einem solchen Fonds eine Anschubfinanzierung erfolgen. Damit werden die Häuser in die Lage versetzt, die erforderlichen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität strukturiert umzusetzen.  Wichtig ist: Klimaschutz muss in den Krankenhäusern zur Chefsache werden.

Und die rechtlichen Rahmenbedingungen – wie sollten die gestaltet sein, und wie sollten die Beantragungsmodalitäten aussehen?

Es müssen schlanke, transparente Verfahren sein. Und es muss eine zentrale Anlaufstelle beim Land geben. Das Antragsverfahren darf nicht dazu führen, dass solche Maßnahmen vielleicht erst gar nicht angegangen werden, weil es zu kompliziert ist. Das Ganze muss niederschwellig gestaltet sein, damit jedes Haus, ob groß oder klein, in der Lage ist, solche Anträge zu stellen und eine Förderung zu bekommen.

Was bedeutet das für die Investitionsfinanzierung jenseits der Klima-Investitionen? Sind die Bereiche überhaupt klar voneinander zu trennen?

Von den berechneten 6,3 Mrd. € Kosten für die energetische Gebäudesanierung sind dem hcb-Gutachten zufolge 4,1 Mrd. € eigentlich Kosten für substanzerhaltende Maßnahmen, die dem über die Jahre entstandenen Investitionsstau zuzurechnen sind. Nur 2,2 Mrd. € kommen demnach als Anteil für Klimaschutzmaßnahmen dazu.

Jedes Jahr blicken wir auf einen Investitionsstau von jeweils 1,2 Mrd.€ allein in NRW. Diese Mittel fehlen. Die Häuser leben längst von der Substanz, weil Maßnahmen zum Substanzerhalt unterlassen wurden. Die hohen Kosten für den Umbau zu klimaneutralen Krankenhäusern sind auch die Rechnung dafür, dass über viele Jahre viel zu wenig Geld investiert werden konnte.

Was erwarten Sie von Landespolitik nach der Wahl?

Wir alle sind durch das Klimaschutzgesetz von 2021 dem Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verpflichtet. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um mindestens 65 % gegenüber 1990 reduziert werden. Wir haben also keine Zeit zu verlieren und müssen massiv investieren.

Das Thema muss in der kommenden Legislaturperiode beherzt angegangen werden. Es muss jetzt etwas geschehen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht. Die Krankenhäuser wollen hier ihren Teil beitragen, aber die nächste Landesregierung hat das in der Hand. Wir können nur dafür werben, die Krankenhäuser mit ausreichenden Mitteln in die Lage zu versetzen, dass wir den Weg in Richtung Klimaneutralität gehen können.

Das Interview führte Katrin Rüter